Kreuzzug
ausgewählt. Dann blinzelte er mit dem rechten Auge siebenmal und nach kurzer Pause sechsmal. »T-I«. Er blinkte weiter mit rechts, neunmal: E. Und dann fünfmal rechts: N. Er traute sich nicht, seinen Namen »T-I-E-N«, bei dem er absichtlich das H ausgelassen hatte, da es aussprachetechnisch nichts zur Sache tat, pantomimisch mit den Lippen zu wiederholen – und er freute sich umso mehr, als sein Gegenüber es tat.
Craig hatte verstanden und begann seinerseits. Achtmal links, dreimal rechts: C. Dreimal links, zweimal rechts: R. Dreimal rechts: A. Sechsmal rechts: I. Pause. Er konnte kein G in dem deutschen Buchstabensalat über ihm finden, zuckte beinahe unmerklich mit den Schultern und machte ein ratloses Gesicht, dann zwickte er beide Augen gleichzeitig schnell hintereinander zusammen: Das sollte »Platzhalter« heißen. Diesmal wiederholte Thien das Wort lautlos: » CRAIG «.
Zwischen den beiden war Kommunikation hergestellt. Keine einfache Art der Kommunikation, aber sie hatten wahrscheinlich eine Menge Zeit, sich darin zu üben.
Ihr Spielchen wurde jäh unterbrochen. Ein kleines Mädchen im vorderen Teil des Wagens begann laut loszuheulen, und die Mutter konnte es nicht mehr beruhigen. Sofort sprangen von außen zwei weitere Entführer in den Zug. Die beiden Stammbewacher sollten also nicht abgelenkt werden, dachte Thien. Gut ausgebildet. Nervenstark. Mal sehen, wie lange die das durchhielten.
Die beiden Vermummten, die von draußen in den Wagen gekommen waren, zerrten die Kleine und ihre Mutter von den Sitzen und wollten sie durch die offene Tür aus dem Waggon stoßen. Ein Passagier nahm sich ein Herz, stand auf und rief laut: »Muss das sein? Was wollen Sie eigentlich von uns?«
Der Mann sah aus wie ein Bär. Er bewegte sich auf einen der Entführer zu und streckte die Hände nach ihm aus.
Bevor sich andere Geiseln mit dem aufbegehrenden Mann solidarisieren konnten, drehte sich einer der neu hinzugekommenen Maskierten um und streckte ihn mit einem Einzelschuss aus der Maschinenpistole nieder. Er traf ihm genau ins Herz, die Kugel trat in seinem Rücken wieder aus und durchschlug die Aluminiumwand des Waggons.
Der Mann wurde durch die Trefferwucht drei Meter nach hinten geworfen und schlug gegen die Wand. Doch davon bekam er nichts mehr mit. Bereits beim Eintritt der Kugel in seinen Körper war er durch den Schock getötet worden, den die hohe Geschwindigkeit des Projektils verursachte.
Den anderen Geiseln stand das Entsetzen in die Gesichter geschrieben. Niemand hatte den Mut, aufzustehen und sich um den angeschossenen Mann zu kümmern. Sein Anblick verriet zudem, dass es vergebens gewesen wäre.
Thien und Craig sahen sich schockiert an. Beiden war klar, dass sie ein gefährliches Spiel trieben. Dass diese Entführer keinen Spaß verstanden. Dass sie nicht zögern würden, weitere Menschen umzubringen, wenn sich ihnen jemand in den Weg stellte. Und dass sie wahrscheinlich am Schluss sowieso alle töten würden.
Dies bedeutete aber auch, dass die einzige Möglichkeit zu überleben darin bestand, die Geiselnehmer auszuschalten. Denn sonst würden sie alle sterben, so oder so.
»Be quiet and nothing will happen to you!«, rief der Mann, der geschossen hatte. Dann befahl er der Mutter mit einem Wink der MPi-Mündung, dass sich beide wieder auf ihre Plätze setzen sollten, wo sie sich leise wimmernd aneinanderschmiegten.
Kapitel vierunddreißig
Eibsee-Hotel , 15 Uhr 50
D as ist hier aber nicht wirklich fernsehwirksam.« Jens Körber war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Und er ließ dies auch den Verteidigungsminister wissen. Der wich nicht von der Seite seines wichtigsten Journalisten.
»Jetzt flieg ich direkt von der Skipiste in Obertauern an die zweihundert Kilometer her mit dem SAT . 1 -Hubschrauber, dann sollte das auch tolle Bilder geben!«, beschwerte sich Körber weiter.
Die beiden Assistenten des Moderators liefen wie Mondsüchtige immer wieder um das Eibsee-Hotel und knipsten mit ihren Digitalkameras mögliche Kameraperspektiven, die eindrucksvolle Hintergründe für ihren Chef und den Minister abgaben. Immer wieder rannten sie zu Jens Körber und zeigten ihm ihre Schnappschüsse. Er fand sie alle »beschissen«, wie er seine Mitarbeiter unverblümt wissen ließ.
»Die einzige richtig gute Perspektive bietet sich direkt aus der Talstation der Seilbahn. Von dort ziehen sich die Tragseile steil nach oben. Aber da werden wir nicht in Ruhe drehen können bei dem Aufmarsch dort
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