Kreuzzug
Mitkämpfer sie freipressen wollten. In diesem Zug saßen über zweihundert Menschen. So viele in amerikanischen Gefängnissen einsitzende Terroristen konnte die US -Regierung niemals auf freien Fuß setzen.
Die Taktik, ein Leben für ein Leben zu tauschen, war jedoch klug. Auf diese Weise würde es für die Gegenseite leichter sein, die Forderungen zu erfüllen, das ging sozusagen häppchenweise. Schon wenn nur wenige der geforderten Freilassungen erfolgten, konnte die Organisation, die für diese Aktion verantwortlich war, einen Erfolg verbuchen. Selbst wenn es letztendlich zu einer Katastrophe kam. Nur würde das alles elend lange dauern. Es würden sicherlich mehr als weitere zwölf Stunden vergehen, bis ein islamistischer Topterrorist aus einem US -Militärgefängnis irgendwo am Ende der Welt freigelassen werden konnte und dies den Geiselnehmern im Zug von ihrer Organisation bestätigt wurde.
Das alles würde die Hölle werden. Eine lang anhaltende Hölle.
Kapitel sechsunddreißig
Auf der Zugspitze , 15 Uhr 57
M arkus Denninger wunderte sich wie all die anderen Menschen, die zurzeit auf Deutschlands höchstem Berg weilten, dass sein Handy seit mehreren Minuten keinen Empfang mehr hatte. Er ging hinüber zum Funker seines Zugs, der seine Apparatur auf den Schultern getragen und auf der Gipfelterrasse aufgebaut hatte, ließ sich eine Verbindung nach Mittenwald zum Stab herstellen und fragte nach, was mit dem Handynetz los war.
»Hier auf dem Gipfel gibt es mehr Telekommunikationseinrichtungen als in Cape Canaveral. Funktionieren die etwa alle nicht mehr?«, fragte er den Mann in Mittenwald.
Der musste sich wiederum beim Bundeswehr-Verbindungsmann schlau machen, der in den Krisenstab des Landratsamts beordert worden war. Nach ein paar Minuten kam die Meldung: »Deutsche und österreichische Handy- und Internetverbindungen rund um den Gipfel unterbrochen aus Sicherheitsgründen. Bombenalarm. Ruhig bleiben.«
Denninger fiel seine Sprengstoffausbildung ein. Darin war es unter anderem darum gegangen, dass Bomben auch ferngezündet werden konnten, zum Beispiel mit einem SMS -Signal. Das Internet hatte man wohl wegen der Nachrichtensperre gleich mit abgeschaltet. Nur war das alles reichlich spät geschehen. Bomben waren im Tunnel gezündet worden, und die Welt hatte davon bereits erfahren. Jetzt erschwerte die Telekommunikationssperre den Helfern auf dem Gipfel nur die Arbeit.
Prompt kam in der Gipfelstation unter den Wartenden Unruhe auf. Solange sich die Menschen mittels ihrer mobilen Geräte über die Situation hatten informieren können und mit der Außenwelt Kontakt gehabt hatten, waren sie beschäftigt gewesen und hatten zumindest das Gefühl gehabt, mit denen im Tal, in der Stadt, zu Hause verbunden zu sein. Diese Verbindung war nun tot, und den Leuten auf dem Gipfel wurde bewusst, dass sie sich in einer Insellage befanden, in einer Umgebung, die ohne den Schutz der Gebäude geradezu mörderisch war.
Auch Markus Denninger dachte darüber nach, und zum ersten Mal in seinem Leben ging ihm auf, wie das Leben auf dreitausend Metern über dem Meeresspiegel überhaupt aufrechterhalten wurde: mit Strom, der aus dem Tal kam.
Er griff wieder zum Hörer des Feldfunkgeräts und sagte zu dem Funker in der Kaserne: »Ich weiß, ich bin nicht Mitglied des Krisenstabs, aber ich sitze hier oben und muss auf fünftausend Menschen aufpassen. Darum zur Sicherheit: Sag denen in Garmisch, sie sollen dafür sorgen, dass wir hier oben weiterhin Strom haben, sonst gibt es reihenweise Tote, das ist denen hoffentlich klar.«
Nach einigen Minuten antwortete ihm der Funker in Mittenwald: »Du sollst dir keine Sorgen machen. Es führen drei Hochspannungsleitungen hoch zum Gipfel, zwei durch den Tunnel und eine von der österreichischen Seite her. Außerdem haben die jede Menge Notstromaggregate dort oben. Ihr werdet nicht erfrieren.«
Markus Denninger war nur halb beruhigt, denn wenn zwei Leitungen durch den Tunnel führten, saßen die Entführer regelrecht darauf. Und Notstromaggregate hatten auch nur für eine bestimmte Zeit Treibstoff.
Er musste zusehen, dass die Zivilisten hier endlich nach unten kamen. Warum dauerte das so lange? Es war keine Bewegung in der Schlange auszumachen, die von der österreichischen Gipfelstation um das Münchner Haus herumführte und über die Sonnenterrasse und die Treppen bis hinein in die deutsche Gipfelstation reichte. Die deutsche Station füllte sich immer mehr mit Menschen, die
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