Kreuzzug
ihm hinüber. Das »Ja« kam postwendend. Zum Glück fragte der Mann nicht »Was?«, denn Thien hätte keine Antwort gewusst.
In den nächsten Stunden mussten sie beide eine Strategie entwickeln. Durch die Art ihrer Kommunikation über Augenmorsen würde dies alles andere als eine angeregte Diskussion werden.
Thien versuchte, sich besondere Merkmale der Geiselnehmer einzuprägen. Obwohl er über ein durchaus geschultes Auge verfügte, tat er sich schwer, später Identifizierbares auszumachen. Sie trugen alle die gleichen Kampfanzüge und ebenso die gleichen Sturmhauben. Er würde sich an kein besonders Merkmal erinnern können.
Halt, vielleicht an eines: Alle Männer schienen nicht besonders groß zu sein. Thien schätzte sie auf eins sechzig bis höchstens eins siebzig.
Kapitel fünfundvierzig
Ehrwald , 16 Uhr 50
D en Rettungskräften auf der Ehrwalder Seite der Zugspitze bot sich im Restlicht des vergehenden Tages ein Bild des Grauens, als sie sich zu der Stelle vorgekämpft hatten, an der die abgestürzte Gondel zum Liegen gekommen war. Von der ursprünglichen Form des Aluminium- und Plexiglasquaders war nichts mehr zu erkennen. Die Leiber der Insassen waren innerhalb der Kabine zu einem Klumpen aus Blut, Knochen und Funktionsbekleidung gequetscht. Als ob ein Kind einen großen Haufen roten Knetgummis und eine Menge Playmobilfiguren in einen Mixer geworfen hätte.
Einen Teil der unglückseligen Insassen hatte die Gondel bei den Überschlägen den Berg hinunter verloren. Zerschmetterte Körper und dunkelrote Flecken zeichneten die Spur des Grauens.
Die Dämmerung tauchte die Szene in ein apokalyptisches Licht.
Bergretter mit Stirnlampen machten sich auf den Weg nach oben zu den Körpern. Vielleicht war ja ein Wunder geschehen, und ein Mensch hatte die Katastrophe überlebt. An den Einsatz eines Hubschraubers wagte niemand zu denken. Der Krisenstab auf der deutschen Seite hatte sämtliche Flugbewegungen in einem Umkreis von zehn Kilometern um die Zugspitze untersagt, sowohl auf deutscher als auch auf österreichischer Seite des Berges.
Die ersten Retter, die im Gemisch aus Schnee, Geröll, Blut und Leichen ankamen, begannen erst einmal damit, die im deutschsprachigen Raum mittlerweile Standard gewordenen Schilder an die Leiber zu kleben, mit denen im Fall eines » MANV «, eines »Massenanfalls von Verletzten«, die Opfer in Kategorien eingeteilt wurden: grüne Schilder für Leichtverletzte, gelbe für Personen mit schweren Verletzungen, die aber keine sofortige Hilfe benötigten, rote für Schwerverletzte mit sofortiger Hilfsbedürftigkeit, Schwarz für Tote.
In das weiß-rote Schneefeld mischten sich immer mehr schwarze Schilder.
In großer Höhe über dem Berg gab es allerdings doch Flugbewegungen. Vom Fliegerhorst Fürstenfeldbruck bei München waren drei Tornados gestartet und auf zehn Kilometer gestiegen. Dort kreisten sie nun über dem Wettersteinmassiv, jederzeit bereit, sich auf den Feind am Boden zu stürzen wie Falken auf einen Nager. Der Feind allerdings war gut in seinem Bau versteckt, umgeben von 198 Millionen Tonnen Wettersteinkalk.
Über den Tornados zog eine AWACS -Maschine ihre Runden. In ihrem Bauch saßen zwölf Männer an Bildschirmen und versuchten, Signale aus dem unter ihnen liegenden Luftraum aufzuschnappen, die vielleicht Aufschluss über das Treiben der Terroristen oder ihre Absichten geben konnten. Doch da war nichts.
Ähnlich erging es den Beobachtern in den amerikanischen Bodenstationen, die auswerteten, was die Spionagesatelliten vierzig Kilometer über Zentraleuropa an Daten lieferten. Mittels dieser Himmelsaugen konnte man nicht nur die Speisekarte lesen, die ein Mann auf der Terrasse eines Restaurants in Mailand in Händen hielt, sondern auch jede Art von Datenverkehr zwischen den Rechenzentren der europäischen Telefon- und Internetanbieter überwachen. Die Auswertungszentren der National Security Agency durchsuchten Telefon-, Mobilfunkgespräche und E-Mails sowie Faxe in Echtzeit nach Schlüsselworten, und das in allen erdenklichen Sprachen und Dialekten.
Doch nichts in diesem Datenverkehr wies in den vergangenen Stunden auf verstärkte Kommunikation zwischen Terroristen im Einsatz hin. Auch an den Schaltstellen des internationalen Terrorismus in Pakistan, Afghanistan und dem arabischen Raum war es ruhig.
Kapitel sechsundvierzig
Langley, CIA -Zentrale, 11 : 15 a.m. Ostküstenzeit
D ie Männer, die seit dem frühen Morgen in einem der Combat Rooms
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