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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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Techniker wie John hätte eine Superbowl-Übertragung allein hinbekommen. Und notfalls konnte John auch kämpfen.
    Doch angesichts des sich jetzt bietenden Szenarios war ein Mann allein, auch wenn es der Beste war, heillos überfordert. Er konnte unmöglich an allen Brennpunkten, die es an diesem gottverdammten Berg gab und vielleicht noch geben würde, gleichzeitig aktiv werden.
    Chuck Bouvier musste Verstärkung an die Zugspitze beordern.

Kapitel achtundvierzig
    Im Zug, 18  Uhr 06
    T hien wachte aus einem erschreckenden Traum auf. Lange konnte er nicht geschlafen haben. Er warf einen Blick auf die Uhr. 18  Uhr 06 . Fast sechs Stunden saßen sie jetzt hier fest. Keine Ansprache der Geiselnehmer, keine sichtbare Kommunikation mit der Außenwelt. In einer solchen Situation einzuschlafen war typisch Thien.
    Er konnte an jedem Ort der Welt in jeder Lage einschlafen. Nur so hatte er seine ersten drei Lebensjahre überstanden. Immer, wenn es ungemütlich wurde, war Thien Hung Baumgartner einfach eingeschlafen.
    Als die Soldaten aus dem siegreichen Norden durch die Dörfer des Südens zogen, um sich dort für dreißig Jahre Krieg zu rächen, damals in Thanh Phong im Mekong-Delta, war das Kleinkind Thien Hung eingeschlafen, gerade als die Bambushütte anfing zu brennen. Auf dem Seelenverkäufer, der ihn und seine Mutter in ein neues Leben weg aus Vietnam bringen sollte, war der zweijährige Thien Hung ebenfalls eingeschlafen, während die Wellen über die Reling brachen. Erst als sie im Monsun kenterten, wachte Thien Hung in einem Rettungsboot wieder auf. Seine Mutter hatte der Taifun nicht wieder hergegeben, doch die Leute in dem Rettungsboot hatten das elternlose Kind nicht über Bord geworfen, obwohl sie kaum Trinkwasser hatten.
    Als sie zwei Tage später von dem Flüchtlingshilfsschiff »Cap Anamur« im südchinesischen Meer vor Thailand gerettet wurden, war Thien wie auch die Erwachsenen in der Nussschale dem Tod näher als dem Leben gewesen. Die Ärzte auf dem deutschen Schiff dachten zuerst, der Kleine mit dem Schild um den Hals wäre tot. Bis er aus einem tiefen Schlaf erwachte.
    Die Deutschen brachten ihn durch und nahmen ihn mit in eine andere Welt. Diese Welt bestand nicht aus Reisfeldern und Bambushütten, sondern aus Bergen und lüftlbemalten gemauerten Häusern. Thien Hung wurde von der Caritas, dem Hilfswerk der katholischen Kirche, an ein kinderloses Ehepaar, den Baumgartners, in Garmisch-Partenkirchen vermittelt. Und so war Thien nicht an einem Seitenarm des Mekong, sondern am eiskalten Gebirgswasser der Partnach aufgewachsen.
    In seinem kurzen Traum eben waren einige der Bilder von der Flucht wieder in ihm aufgestiegen. Es passierte ihm nicht oft, dass er vom Grün des Dschungels, von den Soldaten mit ihren Gewehren oder der endlosen Wasserwüste des südchinesischen Meers träumte. Nur, wenn er sehr aufgewühlt war, nach einem erfolgreichen Tag in Eis und Schnee und nach höchster Gefahr, sah Thien nachts im Traum diese Bilder.
    Im Wachzustand hatte er überhaupt keine Erinnerung an seine ersten Lebensjahre, nur an seine Kindheit in Partenkirchen. Es war ihm aber als Kind durchaus aufgefallen, dass er nicht der ortstypischen Physiognomie der Partenkirchner entsprach. Die war von den Römern geprägt, die vor Jahrtausenden durchs Tal gezogen waren. Dunkelhaarig, dunkelhäutig, dabei aber fein geschnittene Gesichtszüge – daran erkannte man die echten Partenkirchner.
    Auf der anderen Seite des Ortes, in Garmisch, hatten die Einheimischen weichere, hellere alemannische Züge.
    Schon im Kindergarten Partenkirchen wurde Thien bald darauf aufmerksam gemacht, dass er zwar dunkelhaarig und dunkelhäutig war, aber sich seine Augenform von der seiner Kameraden unterschied. Thien lernte schnell, seine Umgebung in Freund und Feind zu unterteilen. Feinde, das waren diejenigen, die sich über seine Andersartigkeit lustig machten. Die »Schlitzi« und andere Dummheiten zu ihm sagten. Freunde zu werden hatten diejenigen eine Chance, die diesen Äußerlichkeiten keinen Wert beimaßen. Und solche Freunde gab es auch in den alteingesessenen Familien, sodass Thien Hung Baumgartner zusammen mit vielen seiner Freunde im Volkstrachtenverein das Schuhplatteln und im Skiclub Partenkirchen das Skifahren erlernte, während er sonntags in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt ministrierte. So wurde innerhalb weniger Jahre aus der vietnamesischen Flüchtlingswaise ein heimatverwurzelter Partenkirchner.
    All dies ging ihm jetzt

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