Kreuzzug
roten Knopf gedrückt. Aber wie auch immer – weitere Befehle für mich?«
»Im Moment nur abwarten. Wir müssen wissen, was hinter der Aktion steckt. Das ist jetzt das Wichtigste: herausbekommen, wer sie unterwandert hat oder was die auf dem Schirm haben.«
»Und Sie sind sicher, dass die Ihre Aktion nicht enttarnt haben?«
»Wir zeichnen seit zwei Jahren jeden Furz auf, den sie loslassen. Die denken immer noch, sie waren in einem echten Al-Qaida-Lager, verlassen Sie sich drauf, McFarland.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr.«
»Inschallah, McFarland, wie die Burschen sagen würden. Inschallah.«
Kapitel dreiundvierzig
Schneefernerhaus , 16 Uhr 37
D as Schneefernerhaus hatte in seiner langen Geschichte schon viel erlebt. Hätte es sprechen können, es hätte viel zu erzählen gehabt, mehr als die meisten anderen alten Hotels. Die hätten sicherlich von unzähligen ehelichen und noch mehr außerehelichen Geschlechtsakten in ihren Zimmern berichten können, von küssendem Personal in geheimen Nischen ihrer Kellergewölbe, von den zwischen ihren Wänden gestorbenen Gästen, von den in ihren Betten geborenen Kindern. Nicht wenige Hotels hätten sogar Morde bezeugen können. Einige Hotels mit vielen Stockwerken hätten aber wohl die Geschichten verschwiegen, die ihnen den Beinamen »Selbstmordhotel« eingebracht hatten. Das eine oder andere Haus hätte auch mit wahren Horrorgeschichten aufgewartet. Nicht viele hätten sich damit so unangemessen gebrüstet wie das Stanley Hotel in Colorado, das bis heute seinen Besuchern einredet, Jack Torrence habe hier versucht, seine Familie umzubringen, obwohl sich dies in Wahrheit doch in einem Filmstudio in England zutrug.
Das Schneefernerhaus hatte Geschichten, die die anderen großen Hotels nicht hatten. Sex, Liebe und Untreue hatte es auch zu bieten. Solche Geschichten spielten sich seit je in jedem Hotel ab. Doch seit seiner Eröffnung 1931 als höchstgelegenes Hotel Deutschlands waren alle diese Akte mit dem Attribut des »höchsten« versehen. Hier hatte, wer es sich leisten wollte, den höchsten Geschlechtsverkehr Deutschlands haben können, den höchsten Ehebruch begehen und sich dabei des Risikos eines durch die Höhenlage begünstigten Herzinfarktes aussetzen können. Alkohol- und Opiumräusche waren auf 2650 Metern über dem Meer billiger und eindrucksvoller, weil die sie verursachenden Substanzen im Körper schneller wirkten.
Die spezielle Lage bei bequemer Erreichbarkeit machte das Hotel Schneefernerhaus in den ersten vierzehn Jahren seines Bestehens im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Topadresse der europäischen Hotellerie. Als man fünf Jahre nach der Eröffnung zu Füßen der Zugspitze die bis dahin größten Olympischen Spiele aller Zeiten ausrichtete, befand sich der Stern des Hotels auf seinem Zenit. Doch die neuen, unseligen Zeiten, die in Deutschland ihren Ursprung nahmen und die bald über Europa und die ganze Welt hereinbrachen, beendeten den Aufstieg des Hotels und stürzten es bald in einen steilen Sinkflug.
Nach der deutschen Kapitulation 1945 besetzten die Amerikaner das Haus und richteten ein Erholungsheim für Veteranen ein. Nicht dass es in dieser Zeit nicht wieder zu hoteltypischem ausgelassenem Treiben gekommen wäre, aber die Grandezza war dahin. Wo sich Erb- und Geldadel mit Steinadel getroffen hatte, suhlten sich nun GIs in Gin und Johnny Walker. Die GIs und Johnny gingen zwar im Jahr 1952 wieder, aber das ramponierte Image des Hauses als höchstgelegenes Ami-Bordell Europas blieb. Und so verkam der Stahlbetonbau, der wie ein Schwalbennest unter dem Zugspitzgipfel klebte, Jahr um Jahr.
Berühmtheit erlangte das Schneefernerhaus noch einmal im Jahr 1965 . In einem Winter, in dem es so viel Schnee wie seit Beginn der Messungen nicht gegeben hatte, löste sich oberhalb des Hauses eine gewaltige Neuschneelawine aus den Felsen. Die Sonnenhungrigen, die sich damals noch bedenkenlos der Bestrahlung in Gletscherhöhe hingaben und die, wie grillende Steckerlfische aufgereiht, in ihren Liegestühlen auf der Sonnenterrasse brutzelten, wurden von der weißen Woge über das Geländer gespült und dreihundert Meter weiter unten auf dem Platt einbetoniert. Mit Kettensägen mussten sieben Touristenleiber aus der Skipiste geschnitten werden.
Nach diesem traurigen Ereignis ging der Abstieg des Hotels unaufhörlich weiter. Seit 1963 fuhr neben der Zahnradbahn auch die Seilbahn auf den Gipfel, und die Reise ins Gletschergebiet dauerte statt wie die
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