Kreuzzug
Skitourengeher, die wie ein sportliches Touristenpaar wirkten, hatten die weibliche Person, die rund tausend Meter vor ihnen unterwegs war, seit zwei Stunden genau beobachtet. Das war sehr einfach gewesen, denn sie trug einen roten Rucksack und eine schwarze Hose, und beides hob sie sehr gut von der weißen Umgebung ab. Sie folgten ihr in ihrer Spur und hatten trotzdem Mühe, an ihr dranzubleiben. Die Frau musste eine ausgezeichnete Kondition haben, dass sie im tiefen Neuschnee eine solche Spur vorlegen und ihnen dabei fast weglaufen konnte.
Vor wenigen Minuten war die rotschwarze Gestalt in einem riesigen Schneebrett verschwunden.
»Lassen wir sie, wir haben einen Auftrag!«, stieß der Skitourengeher zwischen tiefen Atemzügen hervor.
»Vielleicht gehört es zu unserem Auftrag zu wissen, ob sie überlebt?«, antwortete die Frau.
»Verdammte Moralistin.«
»Verdammter Egoist.«
»Okay, aber nur, weil es unserem Auftrag dienen könnte.«
»Das hat die Frau eigentlich auch schon. Ohne ihre Spur lägen wir eine Stunde weiter hinten.«
»Weibliche Logik. Gut. Geben wir ihr die Hälfte davon zurück. Wir suchen exakt dreißig Minuten, wenn wir sie dann nicht gefunden haben, gehen wir weiter.«
»Deal?«
»Deal.«
Kapitel achtundachtzig
Eibsee-Hotel , 10 Uhr 20
K erstin Dembrowski wurde von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Wie Skifahrer und Kletterer, die sich auf eine längere Zeit im Freien bei eisigen Temperaturen einstellten, würde auch sie mehrere aufeinander abgestimmte Textilschichten tragen: direkt auf dem Körper eine seidenartige Funktionsunterwäsche, als Zwischenschicht wärmende Softshell und darüber einen Overall aus atmungsaktivem, aber sehr widerstandsfähigem Spezialgewebe.
Das alles hing in dem Hotelzimmer, das man ihr zugewiesen hatte, auf einer Kleiderschiene. »Ist das die Farbe der Saison?«, fragte sie, während sie die Kleidungsstücke in Feuerwehrrot begutachtete.
»Wir wollen Sie gut sehen und von anderen Personen unterscheiden können«, antwortete ihr die Beamtin des BKA , die ihr die Ausrüstung erläutern sollte.
»Wie bei der Treibjagd die Hunde und Treiber«, meinte Kerstin Dembrowski. »Ah, und da sind ja auch die Bärentöterschuhe!«
Neben dem Kleiderständer stand ein Paar der wärmsten kanadischen Winterstiefel, in denen sie auch auf minus sechzig Grad kaltem Eis mollig warme Füße haben würde. Damit würde sie tatsächlich aussehen, als wollte sie durch die Wälder Kanadas streifen.
Was allerdings normale Jäger nicht trugen, war die extrem dünne schusssichere Splitterschutzweste aus dem dichtesten Aramid-Material, das zurzeit auf dem Markt erhältlich war, und auch nicht das moderne Kommunikationssystem, das der MAD zur Verfügung gestellt hatte. Die Geräusche in einem Umkreis von fünf Metern wurden von mehreren winzigen Mikrofonen, die in die Druckknöpfe des Overalls eingearbeitet waren, aufgefangen und über Digitalfunk gesendet. Über einen Empfänger, der kleiner als ein Hörgerät der neuesten Bauart war und daher in ihrem Gehörgang beinahe verschwand, erhielt sie Informationen aus der Einsatzzentrale. Eine Verkabelung des Körpers, wie es früher notwenig gewesen war und man es immer noch in Filmen zu sehen bekam, gab es schon lange nicht mehr.
Der Clou waren jedoch die beiden Kameras, die in die Brille integriert waren. Diese Brille war ebenfalls ein Prachtstück aus der Schatulle des MAD . Sie glich Kerstin Dembrowskis randloser Lesebrille, nur waren die Bügel ein bisschen breiter, denn darin war die gesamte Technik untergebracht, inklusive der zwei Kameras.
»Stereobild«, erklärte die junge Bundespolizistin nicht ohne Stolz, als sie die Brillenbügel des extrem teuren israelischen Geräts für Kerstin Dembrowski anpasste. »So können wir alles in 3 D sehen, so wie Sie.«
»Ist sicher Fensterglas«, meinte Kerstin Dembrowski wenig beeindruckt. »Gut, dass ich nicht besonders fehlsichtig bin.« Sie wusste von ihren zahlreichen Einsätzen, dass in den letzten Jahren die Geheimdienste und Polizeibehörden Deutschlands technisch mächtig aufgerüstet hatten.
»Links minus 0 , 75 , rechts minus 1 , 0 und ein leichter Astigmatismus«, entgegnete die BKA -Beamtin ebenso gelassen. »Sie glauben gar nicht, was wir über wen alles wissen. Aber da wäre noch etwas, Frau Kapitän. Eine Neuentwicklung.« Die junge Bundespolizistin machte eine betretene Pause.
»Ja?«
»Nun, wir wollen sichergehen, dass wir Sie immer auf dem Schirm haben, egal, ob sie
Weitere Kostenlose Bücher