Kreuzzug
für früher plädieren, Herr Staatssekretär.« Die Kanzlerin hatte soeben wieder den Raum betreten, gefolgt von den Spitzen der Bundeswehr und der Geheimdienste, mit denen sie sich die Szenen der letzten Stunde in ihrem kleinen Konferenzraum angesehen hatte. »Diese Leute stellen unser Land vor der Weltöffentlichkeit als schwach und wankelmütig da. Das muss aufhören. Wir können ja nicht durch die Gegend ziehen und Panzer, Flugzeuge und hochkomplexe Grenzzäune verkaufen, wenn gleichzeitig eine solche Sache passieren kann in diesem unserem Land. Da wird ein Image kaputt gemacht, das wir uns in Jahrzehnten aufgebaut haben.«
Die Runde verstummte. Die Kanzlerin sprach mit leiser Stimme weiter. Der Generalbundesanwalt und der Generalinspekteur der Bundeswehr standen demonstrativ rechts und links hinter ihr.
»Darum haben wir uns entschlossen, dem Treiben der Terroristen ein Ende zu setzen. Wir werden weitere vierundzwanzig Stunden für Verhandlungen einräumen. Danach aber werden wir die Felsstürze wegräumen und in die Tunnel eindringen. Wir werden die Sicherheit und die Ordnung in unserem Land wiederherstellen.«
Die Runde empörte sich lautstark.
»Das können Sie nicht machen. Nicht mit uns! Dort oben sind Menschen, über fünftausend! Deren Leben wiegen Sie mit Panzerlieferungen an Despotenstaaten auf? Ein Skandal!« Die Grünen-Chefin war wie immer die Lauteste.
Die Kanzlerin schwieg. Der Generalbundesanwalt trat nach vorn.
»Meine Damen und Herren, bitte geben Sie mir eine Minute, um Ihnen die Rechtslage zu erläutern.« Nur nach und nach ebbte der Lärm im Raum ab. »Bitte«, fügte der distinguierte Jurist hinzu, der wie immer im hellgrauen Dreiteiler auftrat. Dann wartete er so lange, bis Ruhe eingetreten war.
Er nahm seine goldumrandete Lesebrille ab und hielt sie an einem Bügel zwischen Daumen und Zeigefinger. Ab und zu, immer wenn ein Punkt seiner Rede besonders wichtig war, ließ er die Brille zweimal zwischen den Fingern rotieren.
»Ich muss Sie nicht über die von der Verfassung bestimmte Rolle des Generalbundesanwalts aufklären. Sie wissen, dass er auf dem Gebiet des Staatsschutzes die oberste Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik Deutschland darstellt. In allen schwerwiegenden Staatsschutzstrafsachen übt er das Amt des Staatsanwalts aus. Wir sind uns einig, dass wir es mit einer besonders schwerwiegenden Staatsschutzstrafsache zu tun haben. Die erstinstanzliche Strafverfolgung von Delikten gegen die Innere Sicherheit, im Besonderen bei Terrorismus, aber auch bei Landesverrat und Spionage, obliegt dem Generalbundesanwalt. Mindestens der Tatbestand des Terrorismus ist in diesem Fall offensichtlich erfüllt. Die Innere Sicherheit ist stark beeinträchtigt. Ob Landesverrat und Spionage mit im Spiel sind, können wir derzeit nicht ausschließen. So weit die rechtlichen Voraussetzungen. Nun zu den praktischen Konsequenzen. Da der Strafverfolgung in diesem Fall oberste Priorität eingeräumt werden muss, schon allein, damit solche terroristischen Taten keine Nachahmer finden, werden alle Ermittlungen und Operationen beim Generalbundesanwalt zusammengezogen. Mit anderen Worten: Da wir keinen V-Fall vorliegen haben, ist ab sofort nicht mehr die Bundeskanzlerin die oberste Befehlshaberin über die eingesetzten Kräfte, sondern der Generalbundesanwalt. In dieser Eigenschaft erkläre ich Sie alle hiermit für Geheimnisträger. Ich kann Ihnen versichern, dass jeglicher Geheimnisverrat – und, wenn Sie das Beispiel gestatten, das Geheimnis fängt bei der Farbe der kleinen Wasserflaschen auf diesem Konferenztisch an – sie zu Unterstützern einer terroristischen Vereinigung und, falls eine ausländische Kraft hinter dieser Aktion steht, zu Landesverrätern macht. Ihre Immunität als Bundestagsabgeordnete schützt Sie nur auf dem Papier.« Er machte eine lange Pause, in der er jeden in der Runde ansah. »Haben Sie mich alle verstanden?«
Die Runde nickte.
»Dann bitte ich Sie, Ihre Mobiltelefone abzugeben. Ich möchte, dass Sie zudem alle hier im Kanzleramt bleiben, bis die Sache ausgestanden ist.«
Die Spitzen des deutschen Staates waren damit vom Generalbundesanwalt sozusagen festgesetzt worden. Doch in dieser prekären Situation wagte niemand zu widersprechen. Einigen wurde wohl gerade erst bewusst, was diese Lage und das Geschehen, das sich siebenhundert Kilometer weiter südlich abspielte, für das Land bedeuteten.
Kapitel sechsundachtzig
Reintal , 10 Uhr 12
D ie beiden
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