Krieg der Drachen - Roman
versprach Frischwasserzugang. Das Zelt stand am Fuß eines Hügels im Nordosten. Bis Ende Sommer wären viele Baumstümpfe ausgegraben, und schon nächsten Mond würden sie genug Raum für ein kleines Feld haben, das sie vor dem Winter abernten konnten.
Owen wollte hinübergehen, doch Wald hielt ihn zurück. »Landbesetzer. Bei denen sind wir nicht willkommen.«
»Haben sie keine Angst, dass der Landbesitzer sie vertreibt?«
»Kommt drauf an, oder?« Wald zog sich vom Rand der Lichtung zurück. »Die Konföderation beansprucht das Land hier. Ihre Majestät glaubt, Ihre Urkunden ändern das. Der Name auf der Urkunde könnte irgendjemandem in Norisle gehören, oder unten in Feenlee oder den Elfenbeinbergen. Der könnte in Port Maßvoll vor Gericht ziehen, aber viele Richter gibt es nicht, die ihm Recht geben würden.«
Owen deutete hinüber zur Rodung. »Aber diese Männer wissen, dass sie Unrecht tun.«
»Schätze, sie sehen das anders.« Wald breitete die Arme aus. »Als die ersten Freigelassenen hierherkamen, war alles frei und offen. Man suchte sich eine Stelle, baute was an, und wenn das Land nichts mehr hergab, zog man weiter. Dann hat das Parlament entschieden, dass keiner über die Berge darf. Kein Problem, bleibt ja immer noch reichlich Land. Aber dann haben die Minister und ihre Freunde das ganze Land von der Krone aufgekauft. Und jetzt habt Ihr einen Mann, der hart gearbeitet hat, um sich was aufzubauen, und er kann sich das Land, auf dem
er gebaut hat, nicht leisten, weil irgendein Spekulant, der sein ganzes Leben keinen Finger krumm gemacht hat, den Hals nicht voll bekommt.«
»Ich würde Euch zustimmen, Meister Wald, dass dies durchaus nicht gerecht erscheint, doch ist Diebstahl die falsche Antwort. «
»Das ist doch kein Diebstahl. Mehr ein Ausborgen.« Wald lachte. »Schon mal was von der Goldenen Regel gehört, Kapteyn? «
»Selbstverständlich. Behandelt andere so, wie Ihr selbst behandelt zu werden wünscht.«
»In Norisle vielleicht. Hier ist die Regel: ›Wer das Gold hat, macht die Regeln‹.«
Owen lief ein Schauder den Rücken hinab. Ihrer Majestät Streitkräfte gestatteten Reichen, sich ein Offizierspatent zu kaufen. Ein Adliger wie Lhord Rivendells Sohn John mit einem Hang zum Abenteuer, aber ohne die geringste Ahnung vom Kriegshandwerk, konnte sich den Befehl über ein Bataillon oder Regiment erkaufen. Mehr als einmal schon hatten derart privilegierte Kommandeure sich geweigert, Befehle eines vorgesetzten, aber bürgerlichen Offiziers zu befolgen, oder hatten in einem unsinnigen Versuch, Ruhm zu ernten, eigene Befehle erlassen. Ihre Aktionen konnten eine Schlachtreihe verunsichern, dem Feind eine Öffnung bieten und einen sicheren Sieg in panische Flucht verwandeln. Hätte Rivendell bei Artennes die erhaltenen Befehle befolgt, hätten die Mystrianischen Schärler wohl weniger schwere Verluste erlitten.
Walds Version der Goldenen Regel galt auch im zivilen Leben Norisles. Die Verfehlungen eines Adligen ließen sich mit Gold aus der Welt schaffen, während die eines Armen gnadenlos bestraft wurden. Jemand wie Lhord Rivendell, dessen Macht
und Einfluss hinter seinem Buch standen, versteckte seine moralische Unzulänglichkeit hinter wohltätigen Geschenken und sorgsam überlegter Bestechung.
»Steckt das hinter Eurer Feindseligkeit den Norilliern gegenüber? «
Wald und Kamiskwa brachen in Gelächter aus.
»Ich sehe nicht, was daran lustig ist.«
Wald wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich hab keinen Hass auf Norillier. Jedenfalls nicht speziell. Ich hasse jeden, der dieses Land zerstören will.«
»Ich bin im Auftrag der Krone hier, um zu verhindern, dass die Tharyngen es zerstören.«
Wald lüpfte eine Braue. »Haltet Ihr das wirklich für die Wahrheit, Kapteyn?«
»Ich habe meine Order.«
»Und was wird, wenn Ihr Erfolg habt? Dann gibt es nächstes Jahr oder das Jahr danach Krieg. Völlig gleich, wer ihn gewinnt. Es werden Leute herkommen, um Profit zu machen. Die Spekulanten werden reicher. Diejenigen, die Wert auf ihre Freiheit legen, werden weiter nach Westen ziehen, bis sie jemand aufhält. Und das ist dann vermutlich wieder eine von Euren Missionen für die Krone.«
Aus Walds Stimme sprach leidenschaftlicher Abscheu, aber Owen nahm es nicht persönlich. Seine Meinung hatte er sich gebildet, lange bevor er Owen begegnet war. Vermutlich verkündete er sie jedem, den er traf, und bildete sich sein Urteil über sein Gegenüber basierend auf dessen
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