Krieg der Drachen - Roman
dann drängte sich abrupt Bethany Frost in seine Gedanken. Das Insekt hätte sie sicherlich fasziniert.
Katherine müsste ich davor retten.
Die Libelle flog wieder auf und sauste im Zickzackflug ans Ufer. Owen folgte ihr mit Blicken, dann schaute er auf und keuchte. »Mein Gott, was ist das?« Er griff nach der Muskete.
Nathaniel drehte sich um und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, die Waffe liegen zu lassen. Er senkte die Stimme. »Das ist ’n Tanner. Auf die Entfernung würde Eure Kugel nichts bringen.«
Owen starrte wie gebannt. Die Kreatur schien ein Elch, doch einer von gewaltigen Ausmaßen. Seine Schulterhöhe war größer als Owens Körpergröße, und er war sich sicher, er hätte sich auf den Schaufeln ausstrecken können und es wäre noch reichlich Platz über seinem Kopf und unter seinen Füßen geblieben.
Das Tier graste friedlich und hob wiederkäuend den Kopf, um zu ihnen herüberzuschauen.
»Ein Tanner?« Das braune Fell mit der weißen Blässe gab keinen Hinweis, worauf sich dieser Name beziehen mochte. »Warum nennt ihr es so?«
»Einer der ersten Forscher, die hier durchkamen, Blackston hieß er wohl, hat ihn ›Titanelch‹ getauft. Umständlich, der Name.«
»Und aus Ti-tan wurde Tanner. Verstehe.« Owen warf Nathaniel einen schrägen Blick zu. »Und ich könnte ihn sehr wohl treffen von hier.«
»Sicher.« Wald machte eine Kopfbewegung zu dem Elch hinüber. »Aber treffen ist nicht dasselbe wie erlegen. Für ’nen Tanner braucht es mehr als eine Kugel. Verletzt würde er noch ein gehöriges Stück laufen. Wir wären den ganzen Tag beschäftigt, ihn zu finden. Und wenn er uns fände, dann würden wir die Füße in die Hand nehmen.« Der Waldläufer seufzte. »Wenn wir auf der Jagd wären oder so, dann wär ein Biest wie das die Munition wert. Von dem Fleisch könnte ein ganzes Dorf eine Woche lang futtern. Und das Fell würde sogar Ehrwürden Binsen passen. Wäre in Port Maßvoll schon ein Pfund oder drei wert.«
Owen suchte in seiner Jackentasche. »Vielleicht steht er auf des Prinzen Liste.«
Die beiden anderen lachten. »Werdet eine Menge auf der Liste finden. Die Hälfte davon gibt es nicht.«
»Aber der Prinz …«
»Ist ein kluger Mann, so viel ist sicher, aber ein Teil von der Klugheit kommt aus Büchern, die die Zeit nicht wert sind, sie aufzuklappen.«
Kamiskwa räusperte sich. »Mein Volk hat den frühen Forschern Geschichten erzählt, für die sie mit verschiedenen hübschen
Klunkern bezahlt haben. Je fantastischer die Geschichte, desto mehr haben sie gezahlt.«
Owen nickte. »Woher weiß ich, was wahr ist und was erfunden? «
»Weiß nur, was ich sehe, und glaube nur, was ich anfassen kann.«
»In mir regt sich der Eindruck, Meister Wald, dass dies eine sehr lange Reise wird.«
Die beiden Einheimischen glucksten und paddelten weiter. Owen beobachtete den Elch, bis er hinter einer Flussbiegung verschwand. Die schiere Größe der Kreatur beeindruckte ihn noch immer. Nirgends in Norisle oder auf dem auropäischen Festland existierte ein ähnliches Geschöpf von derart riesenhaftem Wuchs. Ihre Erhabenheit zauberte ein Lächeln auf seine Züge. Doch da war noch etwas anderes. Der Tanner, und möglicherweise auch die Art, wie die Zwielichtvölker Entfernungen maßen, erschienen ihm so primitiv.
Wobei für Owen primitiv durchaus nicht dasselbe wie rückständig war, wie es für viele andere der Fall gewesen wäre. Mystria erschien ihm wie ein Land im Tiefschlaf, voller Jugend noch und Vitalität. Norisle und Tharyngia waren über lange Zeit gründlich bearbeitet worden. Er hätte in keinem von beiden Ländern auch nur einen Bruchteil der bereits zurückgelegten Distanz reisen können, ohne auf Menschen zu stoßen oder zumindest auf Hinweise, dass in der Nähe Menschen lebten.
Die ersten Siedler und Forscher hatten die Eingeborenen Zwielichtvölker getauft, weil sie dazu neigten, sich in den Schatten zu halten. Man bekam sie außer in der Dämmerung kaum zu Gesicht, und selbst dann nur als Schatten. Sie waren ein Teil dieses Landes, und ihr Widerwille, sich zu zeigen, war
als Furcht vor den weißen Männern und ihrer Magie ausgelegt worden.
Owen vermutete ganz andere Gründe. Die Shedashie waren wirklich ein Teil dieses Landes. Sie lebten mit ihm und ernteten seine Gaben, statt es zu brechen und unter ihren Willen zu zwingen. Sie hatten beobachtet, wie sich die Siedler verhielten, und wollten nichts mit ihnen zu tun haben. Vermutlich hatten sie die Neuankömmlinge für
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