Krieg der Sänger
und die Hermanns und die Atzes dieser Welt, ihr alle treibt mich noch in
den Wahnsinn. Ich würde dieser Welt und ihren Plagegeistern allzu gerne
entsagen.«
»Fein. Lass dich in ein Inklusorium einmauern und jammere dort deine
Lieder.«
»Ohne Zuhörer jammern ist nur halb gejammert«, entgegnete Walther
und seufzte. »Aber ehrlich, ihr müsst fliehen. Wenn ich euch dabei irgendwie
helfen kann, werde ich es tun.«
»Fliehen?«, schnaubte Wolfram. »Wie denn? Wir stecken fest wie der
Fuchs im Brunnen.«
»Kannst du nicht einmal eine halbe Stunde lang auf deine Gleichnisse
verzichten!«, schimpfte Ofterdingen unvermittelt. »Fuchs im Brunnen, Bär im
Baum, Elster im Nest – ständig muss eines der dämlichen Gleichnisse her! Wir stecken fest , das muss doch reichen, und ich kann mir
nicht vorstellen, dass Walther uns einen Plan mitgebracht hat, lebend zu
entkommen.«
Auf sein Ehrenwort, den Saal nicht zu verlassen, wurden Walthers
Fesseln entfernt. Nachts setzte erneuter Schneefall ein; ein Daunenvorhang,
durch den man kaum die Burgmauer auf der anderen Seite erkennen konnte. Der
Burghof war erstmals seit Beginn der Belagerung menschenleer. Aufs Kaminfeuer
wurde das letzte Holz gelegt.
Die Schmerzen kamen, wie Wolfram vorausgesagt hatte. Agnes, die bis
dahin an ihrem Lager am Kamin die vergessenen Püppchen von Irmgard betrachtet
hatte, den kleinen Kreuzritter und den Sarazenen, verzerrte ihr Gesicht,
stöhnte, wand sich. Biterolf litt mit ihr, hielt ihre Hände, plauderte, prüfte
den Verband, rückte die Kissen und reichte ihr ab und zu Wasser, das sie nur
ihm zu Gefallen trank. Nichts davon konnte ihre Schmerzen lindern.
»Ich werde wahnsinnig«, sagte Biterolf außerhalb ihrer Hörweite zu
Wolfram. »Sagt mir, was kann ich tun?«
»Beten«, antwortete Wolfram und drückte Biterolfs Arm.
»Das habe ich, um Christi Wunden! Rosenkränze, ein halbes Dutzend!
Gott soll sie endlich zu sich nehmen. Er hört mich nicht. Sagtet Ihr, das geht
noch zwei Tage?«
»Womöglich. Es tut mir leid.«
»Ich ertrage das keine Stunde länger.«
Heinrich von Ofterdingen trat schweigend an Wolfram und Biterolf
heran. Er hob den Weinschlauch an, den er in seiner Hand hielt. »Sie weiß doch
nichts davon«, flüsterte er. Biterolf starrte ihn an, stupide wie ein Huhn vor
seinem eigenen Spiegelbild, bis er begriff.
Man suchte unter den Bechern, die man im Festsaal gefunden hatte,
den edelsten heraus, reinigte ihn und füllte ihn mit Sophias Wein. Biterolf
kniete neben Agnes nieder und reichte ihr den Trunk, während die drei Sänger
ihn von abseits beobachteten; von dort, wo die Leichname ihrer und der anderen
Seite zu Eis erstarrt waren.
»Das ist besser als Wasser«, stammelte Biterolf. »Das wird dich
stärken.« Mit sanftem Nachdruck setzte er durch, dass sie den Becher ganz
leerte.
»Scharf.«
»Die Gewürze.«
Seufzend sank sie zurück ins Kissen. »Heute ist die letzte der Zwölf
Nächte«, sagte sie. »Jetzt verpasse ich den Zug der Hulden. Ich werde mein
Söhnchen nicht wiedersehen.«
»Doch«, entgegnete Biterolf. »Vielleicht im Traum.«
»Aber ich kann nicht schlafen. Ich bin müde, aber die Schmerzen
lassen mich nicht.« Sie griff nach seiner Hand, auf der der Abdruck von
Reinhards Zähnen als roter Halbmond leuchtete. »Sing mir ein Schlaflied.«
»Welches?«
»Nicht das Alexanderlied.«
»Etwas Einschläfernderes habe ich nicht«, sagte Biterolf, und beide
mussten lächeln.
»Das du in der Küche gesungen hast. Das Mailied.«
»Bist du sicher? Es ist doch etwas traurig.«
Sie nickte. »Dort liegt Heinrichs Fiedel.«
Das Instrument hatte sich verzogen. Mit zitternder Händen versuchte
Biterolf, die fünf Saiten zu stimmen. Es ging nicht. Er nahm den Bogen auf.
Agnes hielt Irmgards Püppchen hoch. »Kann ich ihm diese zum Spielen
mitbringen?«
»Aber natürlich.«
Biterolf wollte spielen, aber es ging nicht. Er hatte Mühe genug,
sich auf den Text und auf seinen Gesang zu konzentrieren. Unmöglich, auch noch
die richtigen Saiten zu treffen. Er ließ Fiedel und Bogen sinken. Er suchte
nach Worten, stotterte, fand selbst im Gesang nicht den richtigen Ton,
versuchte, die Tränen zurückzuhalten, und kämpfte sich so durch die Zeilen
seines mittelmäßigen Liedes.
Als er am Refrain zu scheitern drohte, sprang ihm Heinrich bei.
Tatsächlich hatte der Ofterdinger nicht nur die Weise, sondern auch die Worte
von Biterolfs Klagelied behalten. Sein kräftiger Gesang gab Biterolf den
nötigen Halt. Wolfram
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