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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Recht auf freie Rede: Jeden ihrer Gedanken sollten die Sänger aus dem
Käfig ihres Kopfes freisetzen, denn niemand würde sie während ihres Aufenthalts
für ihre Äußerungen belangen, solange sie nicht gotteslästerlich oder
ungebührlich gegenüber den Frauen seien. Dann führte Hermann die Gedanken aus,
die er am Vortag schon angerissen hatte; dass er dieses Kolloquium der Sänger
aus mehrerlei Gründen einberufen habe: zum gegenseitigen Austausch der größten
Dichter des Reiches; zur Inspiration derselben, neue Stoffe betreffend; zur
Nutzung und Erweiterung der landgräflichen Bibliothek und nicht zuletzt zur
Unterhaltung seiner Familie, Sophias Damen und seiner Ritterschaft – vor allem
aber aus dem Wunsch, zumindest die deutschen Dichter würden Einigkeit beweisen
in dieser zerrissenen Zeit, in der alle Einheit und Ordnung verloren war, in
der ein Krieg tobe Deutscher gegen Deutscher, Welfe gegen Staufer, Rom gegen
seine Bischöfe; ein Krieg, bei dem nicht einmal er selbst, Hermann, immer
wisse, für welche Seite er Partei ergreifen solle. Er könne sich kein
mächtigeres, nachahmenswerteres Vorbild der Einigkeit denken, als wenn Sänger
aus allen Landen und Lagern, aus Österreich, Bayern, aus dem Elsass und aus
Thüringen, mit einer Zunge sprächen.
    »Und wie ich Euch an dieser Tafel sitzen sehe«, sprach Hermann,
»denke ich unwillkürlich an die legendären Ritter um König Artus, wo so viele
gegensätzliche Geister zusammen ein Ganzes formten, genau wie hier: der
empfindsame Walther, der demütige Wolfram, mein tugendhafter Schreiber, der
kämpferische Heinrich, der weise Reinmar und der junge Biterolf. Ich darf mir
schmeicheln, in diesen Tagen die Rolle des Artus einzunehmen. Ich wünsche, dass
Ihr, wie einst die Tafelrundenritter, einander als gleichberechtigt betrachtet,
ohne Ansehen von Stand, Ruhm, Alter und Vermögen. Und ich wünsche, dass Ihr
allen Differenzen zum Trotz füreinander einsteht, dass Ihr gelobt, einander in
der Not zu unterstützen. Wollt Ihr das tun?«
    Dass Hermann von seinen Gästen unvorbereitet ein derartiges
Versprechen einforderte, gefiel nicht allen. Walther, der erst drei Sätze zuvor
hatte ertragen müssen, wie die Ritter um Gerhard Atze gefeixt hatten, als auf
ihn das Prädikat empfindsam entfallen war – so
empfindsam, dass er den Tod eines Viehs beweinte! –, nuschelte als Letzter der
sechs sein Einverständnis. Heinrich von Ofterdingen grinste.
    »Du lächelst so breit, Heinrich«, sagte Hermann. »Willst du uns an
deiner Heiterkeit teilhaben lassen?«
    »Es ist nichts, Euer Hoheit.«
    »Aber nicht doch! Freie Rede! Dein Lächeln wird ja immer breiter;
heraus damit!«
    »Ich bin überrascht und erfreut von Eurer Güte und Nachsicht«,
erklärte Ofterdingen. »Meine Kriegslieder für Philipp von Schwaben warfen kein
schmeichelhaftes Licht auf Euch, um es vorsichtig auszudrücken. Und dennoch
kein böses Wort von Euch.«
    »Das ist Jahre her«, entgegnete Hermann, »und du hast Philipp
lediglich mit deiner Art der Waffen unterstützt. Im Übrigen musste ich am Ende
viel Neid der anderen Fürsten ertragen, die in einem deiner Lieder lieber
schlecht weggekommen wären, als gar keine Erwähnung zu finden!«
    Noch während die beiden Männer darüber lachten und der Saal mit
ihnen, erhob sich Walther von seinem Platz, den Kelch in der Hand. »Ich und
meine Mitsänger danken Euch für Eure Gastlichkeit«, sagte er. »Selbst im
tiefsten Winter strahlt Thüringens Blume durch den Schnee. Wahrlich, ich wüsste
keinen, der an Ruhm und Tapferkeit, an Milde und gottgefälligem Leben Euch
ebenbürtig wäre. Gesegnet sei, wer Euch segnet, und verflucht, wer Euch
verflucht! Ein Hoch auf Euch, Hermann von Thüringen, unbestritten der größte
unter den deutschen Fürsten!«
    Ein Hochruf ging durch den Saal. Alle Becher wurden gegen den Himmel
gehoben, darunter auch der des exotischen Knappen Heinrichs von Ofterdingen.
Unter den Rittern wurde getuschelt. Der Mundschenk übermittelte ihre Frage an
Hermann, worauf dieser erneut das Wort an Ofterdingen richtete: »Meine Ritter
mutmaßen, ob Euer orientalischer Knappe etwa mit Wasser auf mein Wohl anstieß,
weil ihm als Sarazenen der Rebensaft verwehrt ist.«
    »Rupert hat den gleichen Gott wie wir«, erwiderte Ofterdingen, »also
trinkt er den gleichen Wein. Auch wenn es so aussehen mag: Er ist ebenso wenig
ein Sarazene wie Ihr oder ich. Unter der Hülle dieser orientalischen Gewänder
und der dunklen Haut verbirgt sich ein

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