Krieg der Sänger
»Eine alte
Weise mit neuem Text oder ein gänzlich neuer Ton?«
» Tempus fugit, also eine alte Weise mit
neuem Text«, antwortete der Schreiber, während er aus einer Tasche an seinem
Gürtel Pergament, Gänsekiel und Tinte nahm und vor sich auf der Tafel
ausbreitete. Biterolf trug zwei Lichter heran. »Vielleicht steuert jeder von
euch ein oder zwei Reimpaare bei, dann ist es schnell erledigt.«
»Mir gefiel Walthers Bild von der thüringischen Blüte im Schnee«,
sagte Wolfram. »Wenn wir das ausführen würden …«
Gelächter von Ofterdingen störte die Besprechung. Die fünf schauten
auf.
»Ihr solltet euch sehen«, sagte Ofterdingen. »Auf der Bank eng
beieinander wie Kinder beim Puppenspiel. Es gemahnt nicht so sehr an die Ritter
der Tafelrunde als vielmehr an Vögel auf einer Stange: Walther, die
tirilierende Nachtigall; Wolfram der Graureiher und Reinmar die Eule; ein
erhabener Pfau der Herr Kanzler und er hier, dessen Namen ich mir nicht merken
kann, der kleine Spatz. Deine Vogelweide ist vollständig, Walther!«
»Wenn ich ein Graureiher bin, was wärst dann du?«, fragte Wolfram.
»Wahrscheinlich der Kauz. Oder der Kuckuck in eurem Nest.«
Walther seufzte. »Warum bist du hier, Heinrich?«
»Frag diesen Herrn«, entgegnete Ofterdingen und wies auf den
tugendhaften Schreiber. »Er hat mich eingeladen.«
»Es war der Wunsch Seiner Hoheit.«
»Und warum bist du der Einladung gefolgt?«, fragte Walther. »Um
einen neuen Streit vom Zaun zu brechen? Wirst du dessen nicht selbst irgendwann
müde?«
»Bislang habe ich nichts dergleichen getan, empfindsamer Walther.
Von welchem Streit redest du? Ehrlich gesagt: Ich habe die Einladung aus
Neugierde angenommen. Dieses Symposion von Sängern hat einen großen Reiz; mehr
noch Hermanns Vorhaben, mitten im Bruderkrieg eine deutsche Dichtung zu schaffen. Das könnte mir wirklich gefallen, diese Einheit
aller Sänger. Aber bin ich denn der Einzige, dem seine Rede imponiert hat?«
»Nein. Aber du bist der Einzige, der nicht Hoch! gerufen hat, als wir auf sein Wohl tranken.«
»Das ist dir aufgefallen? Beachtlich. – Ja, ich bin halt eine
wahrheitsliebende Haut und kann mich schwer verbiegen: So sehr hat mich Hermann
noch nicht beeindruckt, dass ich ihn höher preise als meinen eigenen
Dienstherrn. Unbestritten der größte der deutschen Fürsten … Du musst zugeben, du hättest auch etwas weniger dick auftragen können.«
»Er ist der Größte!«, rief Walther entrüstet. »Über ihm ist nur der
Kaiser!«
»Du kannst dein Loblied beenden, Walther. Hermann hat den Saal
verlassen, und ich glaube kaum, dass er sein Ohr an die andere Seite dieser
Eichentür gepresst hält, um zu hören, wie wir über ihn sprechen.«
»Es reicht jetzt«, hüstelte Reinmar, aber es hätte mehr gebraucht,
die beiden Streithähne zu trennen.
»Ich preise Hermann auch ohne Zeugen, jederzeit und überall«,
insistierte Walther.
»Wie du seinerzeit Leopold von Österreich gepriesen hast, als du
noch bei ihm in Sold standst? Nur drei Dinge bedeuten dir etwas, hast du damals
gesungen: die Gnade Gottes, die Liebe der Frauen und die Gunst Leopolds. –
Schon vergessen, wie wir in Ichtershausen mit spitzer Zunge über den Landgrafen
gespottet haben, dass es König Philipp eine wahre Freude war? Und zwei Jahre
später sitzt du hier und trinkst seinen Wein und singst seine Weise. Du hast
dich sogar zum Lehnsmann machen lassen, mein Gott, hast dich kaufen lassen!
Herr muss der Sänger sein, nicht Knecht unter Knechten! Wolf war klug genug,
das Angebot auszuschlagen, nennt dafür zwar etwas weniger Gold im Beutel sein
Eigen, ist aber wenigstens frei geblieben. Herrje, Walther, du Heuchler, du
bist fast so ein Wendehals wie der Landgraf selbst!«
Biterolf hatte mitverfolgt, wie nach und nach alle Farbe aus dem
Gesicht des tugendhaften Schreibers gewichen war. Jetzt sprang der Kanzler auf
und kreischte: »Schluss damit! Nehmt diese Schmähung des Landgrafen
augenblicklich zurück! Niemand nennt Hermann von Thüringen einen –«
»Einen Wendehals? Mir wurde das Recht auf freie Rede zugesichert«,
entgegnete Ofterdingen. »Und ich beabsichtige, ausgiebig Gebrauch davon zu
machen.«
»Freie Rede ist das eine, aber etwas anderes ist es, sein Gastrecht
zu missbrauchen und das Ansehen des Gastgebers herabzuwürdigen!«
»Wer redet denn von herabwürdigen? Ich schätze Hermann sehr, und ich
kann mir im Übrigen nicht vorstellen, dass er es mir übel nähme, dass ich
meinen Fürsten nicht
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