Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
verschlissen worden und
gestorben. Seine Fiedel hatte man verkauft. Nur sein Schwert hatte man im
Speicher des Klosters aufbewahrt. Als der Abt nach Freiwilligen suchte, eine
Überführung von Reliquien aus Magdeburg zu betreuen, meldete sich Wolfram, weil
er eine solche Sehnsucht danach hatte, das Eisen wieder einmal in seiner Hand
zu wiegen. Es wurde, ehe Wolfram aufbrach, vom Rost befreit und mit Weihwasser
besprengt.
    Mit einem leeren Wagen brach man nach Magdeburg auf und mit einer
Wagenladung Heiligem kehrte man wieder heim, von vier Männern des Erzbischofs
eskortiert; in Reliquiaren und Kassetten aus Gold und Silber, ein Dorn aus der
Spottkrone des Erlösers, der Backenzahn Johannes des Täufers, einige
Kettenglieder aus dem Martyrium von Petrus und Paulus sowie – das Erlesenste
von allen – ein Stück vom Kreuze Jesu, und zwar eines mit einem Loch darin, wo
ein Nagel die linke oder die rechte Hand des Heilands durchbohrt hatte.
    Im Eichsfeld wurden sie während des Nachtlagers überfallen von
einer Gruppe von Bauern oder Herumtreibern, deren Zahl man in der Dunkelheit
nur schätzen konnte. Als Wolfram erwachte, schienen die schwarzen Gestalten
überall zu sein: ums Feuer, um den Wagen, bei den Bündeln der Reisenden.
Wolframs Kampfgeschick war in der waffenlosen Zeit nicht im Mindesten
verkümmert. Noch bevor seine Begleiter vollständig auf den Beinen waren, hatte
er einen der Räuber niedergemacht und einen anderen in die Flucht geschlagen.
Ein Dritter sprang ihm direkt in die Klinge, als er mit seiner Beute aus dem
Wagen floh. Dann nahm das Gesindel Reißaus.
    Das Magdeburger Geleit und Wolframs Ordensbrüder applaudierten dem
Frater mit dem Schwert, der sie beinahe im Alleingang verteidigt hatte. Kein
Mann der Eskorte hatte Schaden genommen. Die Strauchdiebe waren unbewaffnet
gewesen. Nicht ein einziges Reliquiar war abhandengekommen, aber das kleine
Kästchen, in dem sich der Backenzahn des Täufers befunden hatte – in einer
goldenen Fassung, eingeschlagen in Samt –, war bei der Auseinandersetzung auf
den Boden gefallen und aufgebrochen, und der Zahn war nirgends im Wagen zu
finden. Auch der Mann, den Wolfram beim Verlassen des Wagens überrascht und
getötet hatte, hielt nicht etwa diese kostbare Reliquie in seinen dürren
Händen, sondern einen zerdrückten Honigkuchen, den er im Wagen beim Proviant
gefunden hatte. Der Unglückliche hatte vor Gold und Silber und Heiligtümern
gestanden – und sich für einen einfachen Kuchen entschieden. Als Wolfram ihn
auf den Rücken drehte, war der Mann so leicht, als wäre er nicht aus Fleisch
und Blut, sondern mit Stroh gestopft.
    Man brach die Suche nach dem Zahn von Sankt Johannes ab und wartete
auf das Tageslicht. Aber auch als man am nächsten Morgen den Wagen vom Fleck
gefahren hatte und das hohe Gras Fuß für Fuß absuchte, blieb der Backenzahn
unauffindbar. Pater Andreas, der die Gruppe leitete, wurde von Stunde zu Stunde
ungehaltener. Am frühen Nachmittag bat er Wolfram, ihm zur Hand zu gehen. Er
untersuchte die Kiefer der drei Männer, die bei dem gescheiterten Überfall zu
Tode gekommen und noch nicht begraben waren, und ging dann neben dem mit den
gesündesten Zähnen in die Knie.
    »Der Hinterste links unten ist gut«, sagte er und hielt Wolfram ein
Messer hin. »Da, kaum eine Spur von Zahnfäule.«
    »Hochwürdiger Pater«, stammelte Wolfram, »das ist nicht Euer Ernst.«
    »Ohne Zahn kann ich dem Abt nicht unter die Augen treten und dem
Erzbischof noch weniger. Komm schon, es merkt doch niemand.«
    »Ihr wollt mit einem Messer –«
    »Eine Zange haben wir nicht dabei. Ich habe schon gefragt.«
    »Aber dieser Kerl hier ist ein Dieb! Ihr könnt doch den echten Zahn
nicht einfach hier am Wegesrand liegen lassen – ein Zahn des Mannes, der den
Sohn Gottes getauft hat!«
    »Ach, Martin«, erwiderte der Pater müde. »Das ist doch nicht
wirklich Johannes’ Zahn gewesen.«
    »Sondern?«
    »Wer weiß das schon. Es ist auch nicht wichtig. Es geht um das
Symbol, das die Menschen anbeten können, nicht um den eigentlichen Zahn.
Substitution, Martin.«
    »Das war einfach nur irgendein Zahn?«
    »Ja doch. – Möchtest du ihn lieber festhalten, und ich schneide?«
    »Aber der Rest ist echt?«, fragte Wolfram und wies auf ihren Wagen.
    Der Mönch schnaubte. »Einem, der wie du viel herumgekommen ist in
der Welt, traut man so eine Novizeneinfalt gar nicht zu. Hast du dir das Stück
vom Kreuz angesehen?«
    »Eingehend.«
    »Offensichtlich nicht. Es

Weitere Kostenlose Bücher