Krieg der Sänger
vertieft vor. Immer wieder sah sie zu ihm
herüber. Zweifellos wollte der Ofterdinger ihm helfen, Agnes für ihn
einzunehmen, indem er gut über ihn sprach. Biterolf war entzückt:
Wahrscheinlich konnte es keinen besseren Brautwerber geben als Heinrich. Also
kümmerte sich Biterolf um andere Dinge, während man über ihn sprach, und
versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er bemerkte, dass man über ihn
sprach.
Das Zwiegespräch der beiden dauerte erstaunlich lange und endete
damit, dass Ofterdingen und Agnes gemeinsam die Küche verließen. Biterolf
traute seinen Augen nicht. War das noch Teil der Brautwerbung? Sollte er ihnen
jetzt nachlaufen? Unschlüssig verharrte er an seinem Platz. Rupert indes erhob
sich in seiner Nische, stieg über einige Leiber hinweg und folgte seinem Herrn
nach draußen.
Neben Biterolf legte Konrad die Fiedel nieder. Auf Biterolfs
fragenden Blick entgegnete er: »Ich mache Schluss. Der kommt nicht wieder. Und
wenn ich auch nur noch einen einzigen weiteren Schafsdarm berühre, zerreißt es
mir die Fingerkuppen.«
Niemand beschwerte sich darüber, dass das Saitenspiel verklungen
war. Das Geschnarche der Schlafenden und das Gemurmel der Wachen traten an
dessen Stelle. Konrad schüttete sich den Wein aus mehreren halb vollen Bechern
zusammen. Biterolf fand noch immer keine Worte.
»Nimm’s dir nicht zu Herzen«, sagte der Singerknabe. »So ist
Heinrich. Niemand kann gegen ihn bestehen, wenn es um Frauen geht. Morgen
kannst du’s ja noch einmal versuchen, mit ihr die Blumen zu brechen … wenn du
sie dann noch willst.« Er folgte Biterolfs Blick zur Tür, durch die sie
verschwunden waren und die jetzt geschlossen blieb. »Dabei geht es ihm nicht
einmal darum, die Schönste zu bekommen. Es geht ihm einfach nur darum, die des
anderen zu bekommen. Hast du ihm verraten, welche dir gefällt?«
Biterolf nickte. Konrad zuckte mit den Schultern, ganz so, als wäre
Biterolf folglich selbst schuld am Raub seiner Auserwählten.
»Du bist nicht der Erste. Das hat er bei mir schon unzählige Male
gemacht. Zum Henker, sogar Wolfram hat er die Liebste weggenommen.«
»Wolfram?«
»Um einiges übler. Denn Wolfram wollte mehr von ihr als nur eine
Nacht: Er hat sie wirklich geliebt. Er hat sie umworben, aber Heinrich hat sie
genommen. Während Wolfram ein Lied auf sie schrieb, lag sie längst unter
Heinrich. Niedere Minne besiegt hohe Minne.«
»Wann war das?«
»In Passau, am Hof von Bischof Wolfger. Vor meiner Zeit. Als sie
gemeinsam am Lied der Nibelungen arbeiteten.«
»Gemeinsam?«, fragte Biterolf. »Ich dachte, Heinrich hätte das
Nibelungenlied allein niedergeschrieben?«
»Das hat er auch. Aber ursprünglich sollten sie ihr Talent vereinen.
Damals, in jungen Jahren, waren sie noch Freunde, innigste Freunde. Der Bischof
von Passau hat Wolfram und Heinrich zu sich geholt und ihnen reichen Lohn in
Aussicht gestellt, wenn sie die gewaltige Sage gemeinsam in Verse bringen.
Heinrich die Leidenschaft, Wolfram die Schönheit. Wolfger wünschte endlich
einmal eine rein deutsche Dichtung niedergeschrieben,
nicht eine weitere Kopie aus dem Französischen oder aus der Antike. Und die
beiden waren Feuer und Flamme für das Vorhaben. Es hätte ein Meisterwerk werden
können.«
»Es ist ein Meisterwerk.«
»Aber es hätte noch besser werden können!«, versetzte Konrad beinahe
wütend. »Ein Muster für alle Dichter nach ihnen hätte es werden können, nicht
nur in Deutschland. Die Sage vom Untergang Trojas hätte es übertreffen können,
hätten sich die beiden nicht in die Wolle gekriegt.«
»Wegen der Frau.«
»Ach, die war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Nein, die beiden waren sich uneins über das Wesen der Sage. Heinrichs Brunhild
war Wolfram zu roh, und seine Kriemhild war ihm zu kalt, Hagen und Gunther zu
hinterhältig, und überhaupt wollte er den Stoff unblutiger, leichter,
christlicher erzählen und versöhnlich enden lassen. Mehr Kultur, weniger Kampf.
Ihr ahnt, was Heinrich davon hielt. Wenn Wolfram die Nibelungen geschrieben
hätte – diesen Spruch wiederholt Heinrich gerne –, dann würde Hagen sich
bekehren, Kriemhild würde Nonne und Gunter Narr, und König Etzel würde täglich
eine Messe für Siegfried lesen lassen.«
»Das ist komisch.«
»Nicht, wenn du es zum hundertsten Mal hörst«, sagte Konrad und
verdrehte die Augen. »Und als es mit dem Dichten der Nibelungen schon nicht
mehr richtig voranging, hat ihm Heinrich, wie es seine Art ist, die
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