Krieg der Sänger
Liebste
ausgespannt. Wolfram hat das als Vorwand genommen, ihnen allen beleidigt den
Rücken zu kehren: Heinrich, ihr, Passau, den Nibelungen. Und ist Hermanns
Einladung nach Thüringen gefolgt, um hier den Parzival zu beginnen, sein eigenes Kind. Und Heinrich musste und konnte die Erzählung
von Siegfrieds Tod, den ersten Teil der Sage, alleine und allein nach seinen
Vorstellungen niederschreiben.«
»Und die Frau?«
»Letzten Endes nicht der Rede wert. Wahrscheinlich ist sie in ein
Kloster gegangen.«
Konrad nahm ein Tuch aus seinem Gürtel, breitete es vor sich auf der
Tafel aus, schlug die Fiedel samt Bogen darin ein und verschnürte das Paket mit
einer Kordel. Dann stand er auf. »Gute Nacht.« Noch am Platz sah er sich nach
einer geeigneten Schlafstelle um.
»Du schläfst hier?«, fragte Biterolf.
»Wo sonst? Um ehrlich zu sein, macht einen das Volk ganz kirre mit
seinem Gerede von Geistern und fliegenden Teufeln. Ich gehe ungern allein über
den Hof. Und in unserer Stube bringe ich eh kein Auge zu. Wenn du Heinrich je
beim Liebesspiel gehört hättest, wüsstest du … – oh. Verzeih. Aber wenn es dich
tröstet: Es bleibt für gewöhnlich bei einer Nacht. Morgen, wie gesagt, hast du
wieder freie Hand.«
Biterolf fuhr sich mit den Fingern über die Naht auf seiner Stirn.
Dann raffte er seine Kleider zusammen. Auf dem Weg nach draußen nahm er einen
herrenlosen Wacholderzweig vom Boden auf, um nicht gänzlich ungeschützt zurück
in die Vogtei zu finden.
Als er den Graben zur Vorburg überquerte, hörte er direkt über sich
im kohlenschwarzen Himmel eine Stimme: Sanctum Sepulcrum
adiuva! Sicherlich war es nur der Rabe.
WOLFRAM VON ESCHENBACH
Das Jahr des Heils 1198 war ein verqueres. In Schweinfurt
war eine Ziege mit zwei Köpfen auf die Welt gekommen. In Rom war ein Milchbart
Papst geworden. Der deutsche Kreuzzug wurde beendet, kaum dass er begonnen
hatte. Die Unstrut führte zwei Monde lang kein Wasser. Philipp von Schwaben und
Otto von Braunschweig hatten sich beide zum König krönen lassen – der eine am
rechten Ort, der andere mit der rechten Krone –, sodass nun zwei halbe Könige
über ein geteiltes Reich herrschten und einen unheilvollen, endlosen
Bruderkrieg entfacht hatten, der Land und Leuten tiefe Wunden schlug. Über
Speyer war eine walzenförmige Wolke geschwebt, die sich im Morgenrot ausnahm
wie eine riesenhafte Blutwurst. Und kaum dass Landgraf Hermann im Herbst von
seiner zweiten Wallfahrt ins Heilige Land zurückgekehrt war, fiel bereits der
erste Schnee, obwohl die Rosen noch nicht einmal ihre Blätter verloren hatten.
Es war ein schwerer Schnee, der zu Wasser wurde, sobald man
darauftrat, aber er eignete sich hervorragend, Wurfgeschosse daraus zu formen.
In der Vorburg brach eine Schneeballschlacht zwischen den Knechten und den
Torwachen aus. Die Schreie und Juchzer hallten bis in den Rosengarten, wohin
die Landgräfin Wolfram bestellt hatte, mit ihr einige Schritte durch die Vorhut
des Winters zu gehen, bevor diese wieder geschmolzen war. Zwischen den
Rosenbüschen war das Weiß noch unberührt. Dort war es geschehen.
Wolfram fielen sie ins Auge, bevor Sophia sie sah, aber noch während
er erwog, sie mit dem Fuß unter Schnee zu begraben, war sie seinem Blick
gefolgt. Dort, wo sie eben noch gestanden hatte, leuchteten drei Blutstropfen
im Schnee; unreines Blut, das an den Schenkeln der Landgräfin herabgelaufen und
zu Boden gefallen sein musste. Beide erröteten. Sophias Plauderei erstarb.
Dergestalt an die Sündhaftigkeit des Menschen erinnert, insbesondere an die
ihres eigenen Geschlechts, war es ihr unmöglich, das Gespräch fortzuführen. Sie
murmelte eine Entschuldigung und verließ den Garten mit gesenktem Kopf.
Als sie fort war, starrte Wolfram erneut auf die drei Tropfen; auf
das vollendete Dreieck zu seinen Füßen. Dies war ein Zeichen, wie er vom
himmlischen Richter selten eines erhalten hatte. Diese drei Tropfen waren
Vater, Sohn und Heiliger Geist, deren Gebote er zu übertreten drohte. Diese
drei Tropfen waren voluptas , impietas und adulterium . Diese drei Tropfen
waren Hermann, Sophia und er, der er nicht dorthin gehörte.
Zurück in seiner Stube, suchte er die Tagelieder hervor, die er in
den letzten zwei Jahren verfasst hatte, jene Phantasien einer verbotenen Liebe
zwischen Ritter und Dame – ein fahrender Ritter und eine schöne Fürstin, deren
Gatte weit weg im hintersten Winkel des Morgenlandes weilte. Wann immer
Wolframs Verlangen zu stark geworden
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