Krieg der Sänger
der Wand zerschlagen und sich hinterdrein. Die Gerstensuppe, die er
sich zum Frühstück hatte kommen lassen, war unberührt auf dem Tisch erkaltet. Die
Rosshaare auf seinem Bogen zerfaserten. Ob der Fleischhauer den Schweif von
Walthers Gaul schon entsorgt hatte?
Als Biterolf zum ersten Mal, wohlig und infam, der Gedanke kam, bei
den anderen Sängern um das Erbarmen zu betteln, ihn, den großmäuligen Grünling,
nun doch noch vom Wettsingen zu entbinden, wie es ja Wolfram am Abend ihres
Streites vorgeschlagen hatte, oder besser noch, seine Sachen zu packen und die
Burg heimlich zu verlassen, zurück ins Hennebergische zu fliehen oder noch
weiter weg – als sein Leben also drohte, ihm teurer zu werden als seine Ehre,
da fasste er den Entschluss, sein Alexanderlied zu singen. Walther mochte Minne
singen, Wolfram und Ofterdingen ihre Epen und der tugendhafte Schreiber was
auch immer, aber er, Biterolf, würde eine Nische füllen mit seiner Mär über den
größten Feldherrn der Geschichte. Vielleicht würde die Gelehrsamkeit des Liedes
Publikum und Preisrichter für Biterolf einnehmen, vielleicht die Anmutung von
Griechenland im winterlichen Thüringen. In jedem Fall aber schien die Alexandreis die klügste Wahl.
Einen wesentlichen Makel hatte sein Entschluss allerdings: Er hatte
das Manuskript nicht dabei. Sein Alexanderlied lag unerreichbar im Stilletal.
Er musste also den tugendhaften Schreiber um Hilfe bitten. Er legte seine
Fiedel beiseite, aß drei Löffel der kalten Gerstengrütze und trat hinaus. Bis
auf die Mannschaft am Tor und zwei Knechte, die mit einem Schlitten Brennholz
auf die Burg brachten, sah er niemanden. Der Himmel hing so niedrig, dass es
den Anschein hatte, man müsse nur auf eines der Dächer steigen, um ihn zu
berühren. Ein Schwarm Enten kreuzte das Grau wie ein Keil Ritter ein
Schlachtfeld. Das hellrote Hühnerblut um den Hackklotz war die einzige Farbe.
Die Bibliothek war verschlossen. Biterolf versuchte es in der
Kanzlei. Auf sein Klopfen gegen die Tür verstummte das Gespräch im Zimmer, das
vorher zu hören gewesen war. Heinrich von Weißensee bat ihn herein. Bei ihm war
Gerhard Atze. Der Schreiber entließ den Ritter, als er von Biterolfs Anliegen
hörte, und mit seinem Schlüsselbund geleitete er Biterolf zurück zur
Bibliothek.
»Der Ritter sah übel gelaunt aus«, sagte Biterolf.
»Sine dubio« , entgegnete der Schreiber.
»Er hat soeben eine scharfe Maßregelung über sich ergehen lassen müssen.
Offensichtlich ist es ihm gestern gelungen, Walther von der Vogelweide sein
eigenes Pferd vorzusetzen, stellt Euch vor, ganz wie in diesem unappetitlichen
Schwank vom eifersüchtigen Ehemann, der seiner Frau das gebratene Herz ihres
Liebhabers auftischt. Es wird höchste Zeit, dass dieser alberne Streit um den
abgebissenen Finger ein Ende findet, und ich habe Herrn Atze belehrt, dass der
Landgraf ihn nach Böhmen verbannt, wenn er Herrn Walther künftig nicht in
Frieden lässt. Wobei wir nicht unbemerkt lassen dürfen, dass Walther mit seiner
übermäßigen Empfindlichkeit nicht unwesentlich zur Eskalation dieses Konfliktes
beigetragen hat. Es war doch nur ein Pferd, beim heiligen Georg!«
»Ist der Fleischhauer wieder aufgetaucht?«
»Unglücklicherweise nicht. Wir müssen das Schlimmste befürchten.
Auch in Eisenach hat man nichts von Rüdiger gehört, wie mir der freundliche
Meister Stempfel versicherte, der just auf der Burg eintraf.«
»Der Scharfrichter …«
»Macht Euch bitte keine Sorgen, Herr Biterolf.«
»Ich kann nicht anders.«
»Hat Euch der Ofterdinger Angst gemacht?«, fragte der Schreiber und
nickte sogleich. »Natürlich hat er das. Das ist ein weiteres Beispiel seiner
listigen Zunge. So kann man seine Kämpfe auch gewinnen! Ich hätte Euch
eindringlicher vor ihm warnen sollen.« Er blieb stehen, um seinen Worten
Nachdruck zu verleihen. »Ihr könnt seine Einschüchterung getrost außer Acht
lassen. Ich bin mir sicher, Ihr werdet bestehen.«
»Das sagt Ihr so vertrauensselig. Aber morgen könnte schon einer von
uns beiden seinem Schöpfer entgegentreten.«
»Oder übermorgen. Der Landgraf und Reinmar haben beschlossen, den
Wettstreit auf zwei Tage zu verteilen, damit man jeden einzelnen Vortrag besser
bewerten kann.«
»Wann singe ich?«
»Das entscheidet das Los. – In jedem Fall beglückwünsche ich Euch zu
Eurem Entschluss, die Alexandreis zu geben. Lieder
von gebrochenen Blumen und gebrochenen Herzen, das kann jeder gemeine Spielmann
auf dem Jahrmarkt.
Weitere Kostenlose Bücher