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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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ist nämlich Birkenholz. Wie viele Birken , meinst du, wachsen wohl am Jordanstrand?« Der Pater
griff dem Toten in den Mund, um dessen Unterkiefer auszurenken. »Ich habe in
meinem Leben sieben unterschiedliche Schädel von Sankt Bartholomä gesehen«,
fuhr er fort. »Sah der unglückselige Bartholomäus am Ende aus wie das
siebenköpfige Biest von Babylon? Natürlich nicht. Und ich schweige, bevor Gott
der Allwissende meine lästernde Zunge straft, über die Anzahl der Dinger, die
Christus in der Hose gehabt haben muss, wenn wir alle Heiligen Vorhäute der
Christenheit zusammenzählen.«
    Während Wolfram den toten Kopf festhielt, stocherte Pater Andreas
mit seinem Messer im Fleisch des Unterkiefers herum, bis der Zahn gelöst war.
Er wurde gereinigt und in die Fassung des Reliquiars eingesetzt. Er passte
ebenso gut wie sein ebenso falscher Vorgänger. Nachdem man die Toten verscharrt
hatte, nahm man die Fahrt zur Hersfelder Abtei wieder auf.
    Wolfram blieb noch eine Woche im Kloster und trat dann aus,
fortan Sänger und Priester in einem. Er kaufte ein Pferd und machte sich auf
die Suche nach Johann und Friedrich, ohne die er nie wieder sein wollte. Er
begriff die Mönchskutte, die er in Hersfeld getragen hatte, nun als eine Art
Narrenkleid, in dem er noch einmal, spät im Leben, eine andere Sicht auf die
Welt kennengelernt hatte. Der Widerwille, den das Volk für die Pfaffen empfand
und den er früher so oft gescholten hatte, hatte sich nun auch seiner
bemächtigt. Die Pfaffen waren verdorben. Das Heil bedurfte nicht Papst und
Priestern noch Bildung und Belesenheit; es lag nicht in Klöstern und Kirchen,
sondern verborgen im Geiste eines jeden Einzelnen. Und in diesem Sinne wollte
er auch seinen Parzival zu Ende bringen.
    Er blieb nur kurz in Thüringen, um das Manuskript an sich zu nehmen.
Mit Hermann sprach er lange, aber mit Sophia wechselte er kaum mehr als drei
Sätze. Zumindest dies war ihm im Kloster gelungen: seine ganze Liebe, seine
Verehrung für die Frauen ganz auf Maria Muttergottes zu bündeln. Minne sang er
nie wieder. Marienminne sollte sein Lied fortan sein.
Nur einmal noch, in den letzten Zeilen seines Gralsepos, tat er einen Schritt
zurück in die alte Zeit und widmete, ohne ihren Namen zu nennen, den Parzival jener Frau, von der er im Rosengarten der Wartburg
Abschied genommen hatte.

24 . DEZEMBER
HEILIGER ABEND
    Wie eine Kogge auf hoher See, auf dem Kamm einer Woge
festgefroren, so thront die Wartburg über den Wellentälern eines schneeweißen
Meeres: ein schlankes, steinernes Schiff, an dessen hohem Bord sämtliche
Brecher zerschellen. Alles überragt der Mast der Burg, der mächtige Bergfried,
dessen Krähennest einen Blick bis an den Horizont ermöglicht. Und wenn Feinde
sich nähern, dann sind das Torhaus im Bug und der Turm im Heck mächtige Kastelle,
von deren Zinnen man sie unter Beschuss nehmen kann. In friedlichen Zeiten
lässt man an eisernen Ketten die Zugbrücke herunter, bis sie im Boden
Ankergrund findet. Hin und wieder öffnet sich in einer der Wände ein Fenster,
und Abfälle werden beseitigt, fallen herab und sinken hinunter auf den Grund
des Waldes, wenn die Vögel, diese steten Trabanten, sie nicht vorher im Flug
schnappen. Die Räume des Schiffes sind riesig, und so ist es nicht
verwunderlich, dass sich an Tagen wie diesem die meisten Insassen unter Deck
aufhalten; an Tagen, an denen der Rauch der Feuer senkrecht in den silbergrauen
Himmel steigt, an Tagen, an denen man vor Kälte und Eintönigkeit in Versuchung
kommt, um etwas mehr Höllenfeuer auf Erden zu beten, und an denen man die Burg preist
für ihre Wärme, ihre Lichter, Farben und Gerüche, für die Geborgenheit am
Vorabend der Geburt des Heilands.
    In seiner Stube saß Biterolf von Stillaha und zerbrach sich den Kopf
darüber, wie er im Kampf um sein Leben bestehen sollte. Natürlich hatte Heinrich
von Ofterdingen recht: Mit seinem Klagelied der Frau im Lenz hatte Biterolf in
den heimischen Gauen glänzen können, aber hier würde es dem Vergleich mit den
anderen nie standhalten. Dergleichen Lieder hatte Reinmar schon um Jahre früher
geschrieben und Walther um Längen besser. Erneut ging Biterolf sein
überschaubares Opus durch, um Alternativen zu finden. Aber was er auch
probierte, sein Gesang klang schwach und fade, seine klammen Finger
verhedderten sich in den fünf Saiten. Mit jeder Wiederholung klangen die Stücke
schlechter. Wie aus Protest riss eine der Saiten. Er hätte das Instrument am
liebsten an

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