Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
das nicht war–, nippte auf der Restaurantterrasse an seinem Aperitif. Er beobachtete, wie die Sonne auf der anderen Seite des dunklen Sees unterging, und lauschte dem Zirpen der in den nahen Büschen und Reben verborgenen Insekten.
Er sah auf die Uhr. Sie war spät dran, wie üblich. Was sagte man doch gleich über Dichter?
Was war es doch für ein langer und schrecklicher Krieg gewesen, dachte er. Ein Krieg, in dem er tatsächlich ein Verräter gewesen war. Vor langer Zeit hatte man ihn bei der Anti-Höllen-Seite eingeschleust, und dahinter steckten jene Leute, die wollten, dass die Höllen für immer weiterexistierten. Damals hatte Vatueil diese Sache unterstützt, zum einen aus Widerspruchsgeist und zum anderen aus reiner Verzweiflung, die er während seines langen, langen Lebens gelegentlich empfunden hatte und die der unfassbaren Idiotie und Destruktivität so vieler intelligenter Lebensformen galt, insbesondere dem unter der Bezeichnung » Panmenschen« bekannten Metatypus, dem anzugehören er die zweifelhafte Ehre hatte. Du möchtest Leid, Schmerz und Entsetzen? Ich gebe dir Leid, Schmerz und Entsetzen…
Doch im Lauf der Zeit, nach immer neuen Kämpfen, hatte er seine Meinung geändert. Grausamkeit und der Drang zu beherrschen, zu unterdrücken, erschienen ihm wieder kindisch und erbärmlich, so wie früher, bevor er sich eine andere Sichtweise zu eigen gemacht hatte.
Er hatte alles ausgeplaudert und all jene angeklagt, die es seiner Meinung nach verdienten, angeklagt zu werden. Anschließend hatte er mit großer Zufriedenheit beobachtet, wie all das, wofür er zu kämpfen geschworen hatte, stückchenweise in schändliches Nichts zerfiel.
Es gab Leute, die ihm seinen Verrat nie verzeihen würden, was sich nicht ändern ließ. Sie hätten es natürlich ahnen sollen, aber die Leute ahnten es nie.
So war das eben mit Verrätern: Sie hatten schon einmal die Seite gewechselt.
Vatueil nahm sich vor, nie wieder zu versuchen, in der Hierarchie der Ränge aufzusteigen und Karriere zu machen. Er glaubte inzwischen, alle wichtigen Lektionen gelernt zu haben, vermutlich viele Male, und die ganze Sache schmeckte viel zu sehr nach Masochismus.
Die Sonne wurde heller, als sie den Horizont erreichte und hinter einem langen, wellenförmigen Wolkenschleier zum Vorschein kam. Sie strahlte in träger, sterbender Pracht, orangerot an einem schmalen gelben Ausschnitt des Firmaments. Vatueil beobachtete, wie die Scheibe des Sterns hinter die Linie der dunklen, fernen Berge weit jenseits der Ebene kroch. Der nahe See, von Bäumen gesäumt, war dunkel wie Tinte geworden.
Er trank im schwindenden Licht der untergehenden Sonne.
Vom ersten Funkeln des Morgens an und für den Rest des Tages war die Sonne zu hell, dass man den Blick auf sie richten konnte. Nur wenn ihr greller Schein gefiltert war, von der dichten Atmosphäre und all dem Staub des Tages, kurz vor ihrem Untergang am Abend, konnte man sie direkt ansehen und angemessen bewundern. Vermutlich hatte Vatueil das auf hundert Planeten erlebt, aber nur hier wurde es ihm richtig bewusst.
Er fragte sich, ob dies als dichterische Erkenntnis zählte. Wahrscheinlich nicht. Und wenn doch, so bot sich diese Erkenntnis zahllosen Dichtern dar. Trotzdem, er nahm sich vor, die Frau darauf anzusprechen, wenn sie kam. Er stellte sich vor, wie sie abfällig prustete. Doch es hing von ihrer Stimmung ab. Vielleicht gewann ihr Gesicht auch den leicht amüsierten Ausdruck, der ihm mitteilte, dass er– plump, aber doch bezaubernd– in ihr Revier vordrang. Dünne Falten bildeten sich unter ihren Augen, wenn sie ihn so ansah. Allein das war es wert.
Er hörte Schritte. Der Oberkellner kam über die Terrasse, erreichte ihn, verbeugte sich andeutungsweise und schlug die Hacken zusammen.
» Ihr Tisch ist bereit, Mr. Zakalwe.«
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