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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Jochimsen
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Leben auf »Station 2« lebt und ein Spiel leitete, dessen Regeln wohl für immer ihr Geheimnis bleiben werden.
    Allein sechs Mal befahl sie uns, die Seiten zu wechseln, ihre Pfiffe erinnerten eher an die Lockrufe des Rotkehlchens, und als sei es damit noch nicht genug, entwickelte sie eine helle Freude an den Gelben und Roten Karten. Allein, man ließ sie gewähren.
    Ab und an rief sie Dinge wie: »Und jetzt alle hinlegen«, und schoss, wahrscheinlich weil sie mit unserem Goalgetter Stefan liiert ist, sogar ein paar Tore selbst. Irgendwann wurde das Spiel dann von der Pflegeleitung abgebrochen, der Bürgermeister gratulierte mir herzlich und alle waren glücklich.
    Guter Zweck hin oder her: Ich hatte noch nie so viel Spaß an einem Fußballspiel. Und Tom auch, denn nach anfänglichem Zögern spielte auch er mit; aus Gründen der Fairness mit Augenklappe, barfuß und »nur mit links«. (Mara achtete streng darauf, dass er nicht schummelte.)

Blöde Eltern
    Mein Sohn Tom brachte unseren »Großgruppen-Kurzurlaub« folgendermaßen auf den Punkt:
    »Die Eltern waren manchmal blöd, aber sonst war es super!«
    Das trifft es ziemlich genau.
    Gemeinsam mit vier Erwachsenen, drei größeren Kindern (eines davon Tom), zwei Katzen und einem Baby verbrachte ich ein paar Tage an der Nordsee, und es war, nun ja, wie es halt so ist:
    Die größeren Kinder waren laut, aber glücklich, das Baby war nur laut, und die Katzen (so vermute ich) wünschten sich insgeheim, nicht als Menschen wiedergeboren zu werden.
    Und wir Eltern, wir waren blöd; vor allem in den Augen der größeren Kinder, und zwar immer dann, wenn sie von uns ins Bett geschickt oder zum Wattwandern angehalten wurden, wenn wir ihnen die Gameboys abnahmen oder sie um Mithilfe beimTischdecken, Kochen, Abspülen, Katzenstreu- oder Windelnwechseln baten.
    Wir konnten allerdings auch ohne die größeren Kinder blöd sein: Eines Abends (die größeren Kinder tollten am Strand herum und mokierten sich lautstark über ihre blöden Eltern, die sie wie immer nur stressten) kamen wir am Abendbrottisch auf das an der Nordsee obligatorische, ungelöste Welträtsel zu sprechen – eine der Frauen wollte nämlich wissen:
    »Wie funktionieren eigentlich Ebbe und Flut?«
    Um nicht sofort als Depp dazustehen, antwortete ich:
    »Das hat mit den Gezeiten zu tun.«
    »Sag bloß«, wurde mir beschieden und ich stand als Depp da.
    Allein die Erklärung der anderen, »das kommt doch irgendwie von der Schwerkraft und der Mondanziehung«, war auch irgendwie unbefriedigend.
    »Apropos Mond«, lautete die Anschlussfrage, »was war doch gleich noch mal der Unterschied zwischen einer Mond- und einer Sonnenfinsternis?«
    »Äh, bei der einen braucht man diese Brillen ...«
    Vertrackterweise sind bei den Rätseln der Natur die der Technik nicht weit, und so sprachen wir im Folgenden über die absolut ungeklärten Mysterien »Telefon«, »Fax« und »Fernsehen«.
    »Ich war früher ja immer enttäuscht«, erzählte einer, »dass das Programm nach dem Aus- und wieder Einschalten nicht an der gleichen Stelle weiterging.«
    Eine andere erinnerte sich an klitzekleine Minimenschen, die sie sich in den Apparaten vorgestellt hatte, und ich sagte lieber nichts, weil ich das heute noch tue.
    An sich sind solche Diskussionen schnell wieder vergessen, im Ferienhaus an der Nordsee aber weilte neben fünf naturwissenschaftlich unbedarften Erwachsenen, drei Kindern, die diese Erwachsenen ohnehin schon blöd genug fanden, und zwei Katzen, denen alles wurscht war, solange sie nur genug zu fressen bekamen, eben noch ein Baby.
    (Noch befinden sich Kleinkind und Katzen zwar auf einer ähnlichen Entwicklungsstufe, aber nicht mehr lang.)
    »Irgendwann fängt der Kleine an zu sprechen«, unkte die Mutter, »und dann stellt er Fragen, und wir sind zu blöd, die richtigen Antworten zu geben.«
    Pädagogisch beschlagen, wie ich bin, wusste ich:
    »Ganz wichtig für ein Kind sind ja zuerst mal grobe Unterscheidungen, damit es sich orientieren kann. Sagen wir so: Alles, was im Haus rumsteht, gehört uns, und dafür, dass es funktioniert, sorgt der Staat. Telefon oder Steckdosen sind sichtbar, und damit die gehen, braucht’s die unsichtbare Gewalt.«
    Ich war regelrecht begeistert von diesem Gedanken:
    »Mit allem machen wir das, mit dem Licht oder dem Klo. Die Schüssel ist unser, und wo das hingeht, ist der Staat.«
    Als ob er auf das Stichwort gewartet hätte, begann der Kleine deutlich zu riechen – diesbezüglich war er

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