'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
ich als Kind mal drei Tage im Bett hatte liegen müssen, um mich mit Windpocken anzustecken. Meine Mutter war seinerzeit der Meinung, dass es wichtig sei, sich mit Windpocken anzustecken.
»Je früher, desto besser, gerade bei Jungen!«, fand sie.
Frau Anderson fand das überhaupt nicht. »Ich dachte, das gilt für Mumps. Bei Jungen. Wegen der Impotenz«, sagte sie.
»Windpocken auch«, sagte meine Mutter, ließ sich nicht abwimmeln und schob mich in Dorotheas Zimmer.
»Na hören Sie mal«, sagte Frau Anderson.
»Mama!!!«, schrie Dorothea, »der soll weg. Ich bin krank!«
»Ja, ich weiß jetzt auch nicht ...«, sagte Frau Anderson.
»Du musst näher rangehen«, sagte meine Mutter, »näher ran!«
Schlussendlich lag ich drei Tage lang mit Dorothea im Bett und bekam natürlich keine Windpocken.
Dorothea und ich konnten über diese alte Geschichte sehr lachen. (Meine Mutter nicht.)
Am Meer waren wir dann auch noch. Vierzehn schöne Tage lang. Ärgerlich war nur, dass das einzige Klo in der Nähe des Strands eine Dixi-Toilette war, die sich auch noch in ungefähr einer halben Stunde Fußentfernung hoch oben auf der Düne befand. Natürlich wurde das Meer deswegen stillschweigend nicht nur zum Schwimmen benutzt; außer ein Kind machte den Fehler, gut hörbar »Mama, ich muss Pipi!« zu brüllen, dann hieß es laufen.
Entschärft wurde die Situation schließlich von einem Vater, der entweder Kapielski gelesen hat oder betrunken und kühn war. Oder alles zusammen. Auf jeden Fall schwamm er eines Tages ans Ufer, entstieg dem Wasser, drehte sich kommentarlos um, pinkeltein die Fluten, hechtete mit einem beherzten »Jippieh« wieder ins kühle Nass und schwamm weiter. Tom war begeistert.
Und mein schönstes Ferienerlebnis? Vielleicht der Satz, den Tom angesichts der vielen Plakate zur anstehenden Bundestagswahl sagte, die seit unserer Rückkehr aus dem Urlaub die heimatlichen Straßen säumen.
»Papa«, wollte er von mir wissen, »was macht die Merkel eigentlich beruflich?«
Keine schlechte Frage.
Die Beschneidung
Mein Sohn Tom kommt atemlos und völlig aufgelöst aus der Schule.
»Papa«, brüllt er noch auf der Straße, sodass es die ganze Nachbarschaft hören kann. »Papa, Papa, dem Paul haben sie den Pimmel abgeschnitten.«
»Bitte?«
»Dem Paul haben sie den Pimmel abgeschnitten. Zur Strafe. Er hat’s allen gezeigt.«
»Äh, komm doch erst mal rein.«
Drinnen geht‘s weiter.
»Wirklich, Papa, er hatte ‘nen Riesenverband um sein Pimperle. Weil’s ihm der Doktor zur Strafe abgeschnitten hat. Er hat’s sogar der Lehrerin gezeigt.«
»Und was hat die gesagt?«
»Dass sie uns das morgen erklärt.«
Na super. Alles muss man selber machen.
»Tom«, sage ich, »da geht’s nicht um Strafe, weißt du, äh, und da schneidet auch niemand was ab, nurdas, äh, Häutchen vorne wird, äh, so ein bisschen beschnitten, es heißt Be -schneidung wegen, wegen ...«
Und da verlassen mich meine Erklärungskünste auch schon. Zu ungestüm prasselt die Erinnerung bei diesem seltsamerweise gerne tabuisierten Thema auf mich ein. Die Vorhautverengung meines Bruders fällt mir wieder ein und der sprachliche Eiertanz, der seinerzeit deswegen aufgeführt wurde.
»Gründlicher waschen, sonst ...«, hatte der Arzt damals gesagt und eine Salbe verschrieben.
Ich weiß noch, wie mein Bruder heldenhaft die allabendliche, schmerzhafte Eincremeprozedur ertrug, nur um der dräuenden Beschneidung zu entgehen, welche dann doch notwendig wurde.
Und an meine jüdischen Freunde Aaron und Ruth erinnere ich mich, die noch heute von der Brit-MilaFeier ihres Sohnes David schwärmen.
»Goldrichtig war die Entscheidung, man erspart sich später Ärger ... und er hat es ja dann auch leichter mit den Frauen.«
Ziemlich überlagernd und wirr schießen mir meine Gedanken durch den Kopf, was nicht sehr dienlich ist, um Tom das Ganze halbwegs nachvollziehbar zu erklären. Aber Erklärung tut not.
»Noch mal, Tom«, versuche ich es erneut, »mit Strafe hat das nichts zu tun ... Und es geht nur um das Häutchen, weißt du, das kann sich entzünden, wenn es schmutzig ist oder zu eng gewachsen, das heißtPhimose, und das tut weh beim Pipimachen ... und dann wird das manchmal, äh – ganz vorsichtig – abgeschnitten ... aber das ist gar nicht schlimm ... in anderen Religionen machen das sogar alle, äh, in anderen Ländern.«
Tom sieht mich an, als sei ich von einem anderen Stern.
»Schau mal, Tom, in anderen Religionen, im Islam oder bei
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