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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Jochimsen
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tauschen, vorerst ab).
    So weit ist alles in Ordnung mit meinem »freiheitsliebenden« Sohn.
    Nicht in Ordnung waren im letzten Jahr jene Eltern, die in ihrer Funktion als übereifrige »Freiheitsbeschränker« auftraten. Nach einem schrecklichen Amoklauf an einer Schule berief der Elternbeirat von Toms Klasse nämlich einen »außerordentlichen Elternabend zum Thema Sicherheit« ein, und so etwas will ich nie wieder erleben.
    Tragödien wie diese verlangen Mitgefühl, Trauer, Empathie, von mir aus gerne auch die politische Forderung nach einem generellen Waffenverbot und sonst nichts. Vor allem keinen »Eltern-Sicherheitsgipfel«, bei dem sprachlich jegliche Restwürde versenkt wird:
    »Ganz ehrlich, das macht mir Angst ...«
    »Da muss man jetzt was machen. Echt wahr.«
    »Computerspiele verbieten. Das wär mal das Allererste.«
    »Und einen Wachschutz bei uns an der Schule!«
    »Der Malte aus Sarahs Klasse, das ist auch so ein komischer Junge, immer still, immer allein ... Ich mein ja nur, den sollte man vielleicht mal überprüfen.«
    »Und einen Wachschutz an der Schule, zur Sicherheit!«
    Überhaupt ist Sicherheit das Allerwichtigste. Gerade für Kinder. Und schon wird das Thema gewechselt in Richtung Kinderpornografie und eines Abgeordneten, der derer beschuldigt wird.
    »Und stellt euch vor, der ist in der SPD!«
    Als ob das was erklären würde.
    »Das muss alles besser gesichert sein. Wenn wir doch einen Wachschutz ...«
    Gutsituierte Vierzigjährige, die am friedlichsten Flecken der Welt leben, reden über Sicherheit. Schämt euch! Sie fordern Sicherheit vor Amokläufern, vor Kinderschändern, vor Ski fahrenden Ministerpräsidenten und natürlich vor Terroristen.
    »Die haben Deutschland nämlich auch im Visier, die Terroristen.«
    Als ob bei uns Flugzeuge in Türme fliegen würden. Wir kriegen das ganz alleine hin, dass Gebäude einstürzen.
    »Einen Wachschutz ...«
    Und die Musik dazu kommt von der Band »Silbermond«: »Gib mir ’n kleines bisschen Sicherheit ...« Ein Chart-Erfolg!
    Menschenskinder, im Rock ’n’ Roll ging es mal um Sex, Drugs und Rebellion, heute wird um »Sicherheit« gebettelt, aber nur »ein kleines bisschen«. Man sollte die Panikmacher dieses Landes in einen Raum sperren und einen Tag lang mit diesem Gesäusel beschallen, bis wieder Vernunft einkehrt!
    Ja, auch ich habe oft Angst. Um Tom. Es liegt in der Natur des Elternseins, sich permanent zu sorgen. Wegen allem Möglichen habe ich eine Scheißangst. Aber die war noch nie ein guter Ratgeber. Und von Sicherheitsfanatikern sollte man sich prinzipiell fernhalten.Der Freiheit, der Sprache und des Anstands wegen.
    Habe ich schon erwähnt, dass ich mich auf die Sommerferien freue?

Sein schönstes Ferienerlebnis
    Als Kind habe ich den obligatorischen nachsommerlichen Deutschaufsatz einfach nur gehasst. »Mein schönstes Ferienerlebnis«. Entweder konnte ich mich nicht entscheiden oder aber es fiel mir gar nichts ein. Es war furchtbar! Geradezu traumatisch geriet die Arbeit in der 4. Klasse, die ich mit den Worten begann:
    »Diese Ferien ist mein Opa gestorben. Die Beerdigung war toll. Ich durfte so viel Cola trinken, wie ich wollte ...«
    Ich bekam eine schlimme Note und geschimpft obendrein, obgleich es wahrscheinlich mein ehrlichster Aufsatz war.
    Jetzt muss mein Sohn Tom zum ersten Mal das »Ferienerlebnis« beschreiben und tut dies sehr angelsächsisch. Die Engländer kennen diesen deutschen Zwang zum Superlativ nämlich nicht und nennen das Ganze »What I did on my holidays«. Nicht das »Schönste« soll erzählt werden, sondern »was man gemacht hatim Urlaub«. Tom zählt es auf, schreibt dazu, dass das alles ganz schön war, holt sich eine mittelgute Note ab und wendet sich wichtigeren Dingen zu.
    Und eigentlich hat er recht. Denn als ich ihn frage, ob es im Sommer denn wirklich kein Erlebnis gegeben habe, welches »das schönste« gewesen sei, antwortet er:
    »Doch! Aber das geht die Lehrerin gar nichts an.«
    So schlau wäre ich als Kind auch gern gewesen!
    Bevor ich mich allerdings über das deutsche Schulsystem aufrege, erzähle ich lieber, wie ich den Sommer fand, schließlich ist das hier kein Aufsatz. Also:
    Sehr schön war eine Frage, die Tom meiner Mutter stellte:
    »Oma?«, fragte er ohne jede Vorwarnung, »krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?« Fand meine Mutter gar nicht komisch – ist aber wahr. Apropos meine Mutter:
    Während des Heimaturlaubes traf ich meine Schulfreundin Dorothea Anderson wieder, mit der

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