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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Jochimsen
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noch nicht so weit wie die Katzen. Ich erbot mich, das zu übernehmen, zum einen, weil keines der größeren Kinder zur Hand war, das ich hätte verpflichten können, vor allem aber auch deswegen, um meine Theorie nicht noch weiter ausführen zu müssen.
    »Gut, dass du noch nicht reden kannst«, sagte ich beim Windelwechseln, während er fröhlich giggelnd auf den Wickeltisch pinkelte.
    Und dann dachte ich: Wieso drucken die eigentlich so alberne Bildchen auf die Windeln? Das geht dem Kleinen doch am Arsch vorbei, buchstäblich, ich meine, der hat da keine Augen. Wer da hinguckt, bin ich, und das ist wohl auch die Antwort: Einfach zu verstehende Symbole sind das auf den Windeln, doofe bunte Luftballons und Schmetterlinge für Menschen wie mich und andere blöde Eltern.

Eine Kuh namens Albert
    Für meinen Sohn Tom und mich war das schönste Erlebnis dieses Jahres definitiv die Sache mit der Kuh Albert – einer Kuh, die zwar gesichert eine »Sie« war, die Tom aber trotzdem »Albert« taufte; vielleicht weil Johnny Cashs ›A Boy Named Sue‹ als letztes Lied im Autoradio lief, bevor die Batterie schlappmachte.
    Es war im Spätherbst, als Tom und ich endlich unseren »Vater-Sohn-Urlaub« in Angriff nahmen: eine Woche in den Bergen, nur wir beide, mit Zelt, ausreichend Proviant und viel Abenteuer. Das war der Plan, als wir Anfang November auf einem gottverlassenen, gefühlt einen Meter breiten Alpensträßlein durch den Schweizer Herbstniesel fuhren.
    So viel sei verraten: Unser »Basiscamp«, ein abgelegenes Hochplateau, sollten wir nie erreichen, denn mitten auf der Strecke, umgeben von Geröll, Wald und Einöde stand plötzlich eine Kuh auf der Straße und machte ein Weiterfahren unmöglich. Wir versuchtenes mit gutem Zureden, mit Scheuchen, mit Locken, wir probierten sogar – Tierschützer mögen uns vergeben –, das Rind ganz behutsam mit dem Auto von der Straße zu schieben, nichts half. Die Kuh bewegte sich keinen Zentimeter. Selbst dann nicht, als Tom zum Äußersten griff und den fleischigen Hornträger anbrüllte:
    »Du blödes Vieh, wenn du nicht weggehst, essen wir dich!«
    »Irgendwann wird die Kuh schon verschwinden«, sagte ich, sie tat es nicht.
    »Oder der Bauer kommt oder sonst wer«, sagte Tom, aber niemand kam.
    Wenn man einige Stunden zum Nichtstun verdammt in der Wildnis steht und einer tonnenschweren Rinderdame beim Wiederkäuen zusieht, wird man sehr demütig, aber auch fatalistisch.
    »Weißt du was, Tom«, sagte ich irgendwann, »jetzt schauen wir mal, wer den längeren Atem hat.«
    Wir schlugen unser Zelt direkt neben Auto und Kuh am Straßenrand auf, machten ein Feuer, labten uns an unseren Vorräten und freuten uns des Lebens. Die Kuh freute sich ebenfalls, denn am nächsten Morgen stand sie immer noch da – als gäbe es keinen schöneren Ort auf der Welt als eine Schweizer Alpenstraße und keine bessere Gesellschaft als zwei bekloppte Deutsche, die sich hingebungsvoll in ihr Schicksal fügten. Der Tag verging mit Kuh-Angucken, Kuh-Streicheln,Kuh-Füttern und Mit-der-Kuh-Reden – was man halt gerne so macht im Urlaub. Es war toll.
    Auch Albert – Tom hatte die Kuh mittlerweile zärtlich mit Mineralwasser getauft – gefiel es, und zwar so gut, dass sie in der zweiten Nacht ihrer Familie Bescheid gegeben haben musste, denn am dritten Morgen war unser Wagen umringt von einer ganzen Rinderherde. Dass nun auch unser Rückweg versperrt war, machte uns nichts aus, wir wollten nirgendwo anders mehr hin. Das Zusammensein mit treuglotzenden und friedlich vor sich hin schweigenden Rindern ist das beste der Welt, es führt zu grenzenloser Entspannung, Einswerden mit der Natur und der Erkenntnis, dass Indien in der Schweiz liegt.
    »Kühe sind wirklich heilig«, entschied Tom und sah deshalb von seinem Vorhaben ab, Albert zu melken. Stattdessen half er rührend und gewissenhaft bei Pflege und Integration des Kälbchens »Bastian-Mesut«.
    Nachdem wir zwei weitere glückliche Tage im Kreise unserer neuen Familie verbracht hatten, wanderten wir ins Dorf hinunter, um unsere Vorräte aufzufüllen und »Kuh-Leckerli« zu besorgen.
    Als wir zurückkamen, war die Herde verschwunden, und die beiden Gendarmen, die ziemlich ratlos unser Lager sowie das die Straße blockierende Auto betrachteten, kamen in einige Erklärungsnot, als Tom sie heulend und tobend bestürmte, was sie mit »Albert, Bastian-Mesut und den anderen« gemacht hätten.
    Toms Trauer mag letztlich der Grund dafür gewesen sein, dass sie

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