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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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religiöser Gelehrter, sondern ein Arabischlehrer in einer Grundschule in der Stadt Ismailia am Sueskanal. Die erste Spende, die er für die Gründung seiner Bewegung erhielt, kam allerdings nicht aus Saudi-Arabien, sondern vom französischen Direktor der Sueskanal-Firma. Der Wanderprediger Al-Banna gab sich vor den Franzosen als sozialer Reformer, der sich um die Jugend kümmerte. Dank der unermüdlichen Bemühungen von Al-Banna, der über ein starkes Charisma verfügte, besaß die Bewegung binnen weniger Jahre lokale Gruppen in den wichtigsten ägyptischen Städten und in etlichen Dörfern. Al-Banna pflegte gute Verbindungen zu der renommierten religiösen Institution Al-Azhar. Durch seinen Mentor, den salafistischen syrischen Gelehrten Rashid Reda, konnte Al-Banna auch bald vom Geldsegen aus Saudi-Arabien profitieren.
    Seit ihrer Gründung war die Rhetorik der Muslimbruderschaft darauf ausgerichtet, die Massen in Ägypten für eine Veränderung des politischen Systems zu gewinnen. Schritte in diese Richtung hat die Muslimbruderschaft aber kaum unternommen. Im Gegenteil, die Gruppe agierte fast immer staatstragend. Sie ließ kaum eine Gelegenheit aus, den Machthabern ihre Loyalität kundzutun, oft auch gegen die Interessen der Bevölkerung.
    So hat sich die Gruppe hinter den ägyptischen König Faruq I. in den 1930er und 1940er Jahren und gegen die liberale Partei Al-Wafd gestellt, die eine konstitutionelle Monarchie mit geringer Macht für den König anstrebte. Die Muslimbrüder bezeichneten den König als Anführer der Gläubigen, der uneingeschränkte Autorität benötige, um seinen Aufgaben nachzukommen. Öffentlich trat die Muslimbruderschaft als missionarische Bewegung auf, die lediglich die Jugend aufruft, zur islamischen Moral zurückzukehren. Im Geheimen baute sie allerdings ihren militanten Flügel auf und rüstete sich mit Schusswaffen und Dynamit aus. Ägyptische Historiker meinen, dass dies nur mit der finanziellen Unterstützung aus Saudi-Arabien möglich war. Die Prinzipien Al-Bannas lauteten: Wachsamkeit, Treue, Arbeit, Anstrengung, Selbstverleugnung, Opferbereitschaft, Gehorsam und Glaubwürdigkeit.
    Jeder Aspirant, der Mitglied werden wollte, musste mit einem Schwert in der Hand, das auf dem Koran lag, folgenden Schwur sprechen, »Ich verspreche dir im Namen Allahs, dass ich ein treuer Soldat in der Gruppe der Muslimbrüder sein werde und dass ich immer höre und gehorche, in guten wie in schlechten Zeiten, außer es ginge um eine Sünde, und dass ich den Befehl nicht in Frage stelle und dass ich meine Bemühung, mein Geld und mein Blut für die Sache Gottes opfere, Allah sei mein Zeuge!«
    Den Spagat zwischen ihrem apolitischen Anschein und ihren geheimen Plänen konnte die Gruppe aber nicht aufrechterhalten. In den 1940er Jahren war die Muslimbruderschaft in zahlreiche Terroranschläge und politisch motivierte Attentate verwickelt. Als der Richter Al-Khazendar einige Mitglieder im Jahre 1947 zu langjährigen Haftstrafen verurteilte, übte der Militärflügel ein Attentat auf ihn aus. Daraufhin entschied sich der ägyptische Premierminister Al-Nuqrashi, die Bewegung aufzulösen, ihre Waffen zu konfiszieren und alle ihre Büros zu schließen. Auch er musste mit seinem Leben bezahlen. Ein eifriger Muslimbruder erschoss ihn 1948 vor seinem Haus. Als Al-Banna um eine Audienz beim König bat, wurde sein Ersuchen abgelehnt. Zwei Wochen später wurde der Begründer der Bewegung von einem Polizeioffizier, der ein Royalist war, erschossen. Dem König von Ägypten waren die Muslimbrüder trotz ihrer Loyalität ein Ärgernis. Doch die Bewegung überlebte diesen Rückschlag und suchte sich bald neue Verbündete.
    Während des Palästinakriegs von 1948 lernten einige Muslimbrüder eine Gruppe von ägyptischen Armeeoffizieren kennen, die mit dem Machtstil des ägyptischen Königs nicht einverstanden waren. Darunter war auch der junge Gamal Abdel-Nasser. Nach der Niederlage der arabischen Armeen warfen die Offiziere ihrem König vor, sie schlecht ausgerüstet zu haben. Die Muslimbrüder schlossen sich der Bewegung der freien Armeeoffiziere um Nasser an, die im Juli 1952 putschten, König Faruq ins Exil schickten und die arabische Republik Ägypten ausriefen. Doch kurz darauf stritten sie mit Nasser, weil er ihren Plänen, einen islamischen Staat zu errichten, nicht zustimmte. Deshalb suchten sie den Kontakt zur britischen Besatzungsmacht, die nach dem Abdanken des Königs auf neue Verbündete angewiesen war, um

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