Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
ihrer Entlassung, die Marxisten zu verdrängen, doch sie waren auch gegen Sadats Friedenspolitik mit Israel. Und so wurde er von jenen Männern ermordet, die er begnadigt hatte.
Als Mubarak 1981 Sadats Nachfolger wurde, schlug er versöhnliche Töne an. Mit den Muslimbrüdern verfolgte er die Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie. Mal verbot er die Bewegung und sperrte die Führungskräfte ein, mal tröstete er sie mit einigen Sitzen im Parlament. Aber sie waren ihm niemals wirklich gefährlich, im Gegenteil: Sie waren seine Lieblingsoppositionsgruppe, denn solange sie sichtbar waren, konnte er sich dem Westen gegenüber als die einzige Garantie für den säkularen Staat und die Fortführung des Friedens mit Israel präsentieren. In der Tat sagte sich die Gruppe während der Herrschaft Mubaraks von der Gewalt los und beschränkte sich auf karitative Aktivitäten und den Aufbau sozialer Netze. Die Anschläge, die andere Terrorgruppen in Ägypten verübten, verurteilten die Muslimbrüder scharf. Auch die Anschläge des 11. September bezeichneten sie als einen unislamischen Akt, denn der Islam sei gegen die Tötung von Zivilisten. Ihre antiwestliche und antiisraelische Rhetorik blieb aber wesentlicher Bestandteil ihres politischen Programms.
Anfang der 1990er Jahre lernte ich die Muslimbrüder an der Universität in Kairo kennen. Ich war für sie ein idealer Kandidat: Ein Neuankömmling aus der Provinz, der in der Anonymität der Großstadt nach Anschluss und Gemeinschaft suchte. Neben dem gemeinsamen Gebet und den stundenlangen Diskussionen über die Lage in Palästina bot die Bruderschaft auch ein weitverzweigtes soziales Netz, das einerseits langsam das Gefühl der Isolation und Entfremdung in mir abbaute, mich andererseits aber auch schnell vereinnahmte. Da, wo Staat und Familie fehlten, standen die Muslimbrüder bereit und boten religiöse wie soziale Dienste und Veranstaltungen an. Sie waren in der Rekrutierung und Mobilisierung von Studenten wesentlich erfolgreicher als die Kommunisten, bei denen ich auch eine gewisse Zeit verbrachte.
Parolen wie »Der Islam braucht Männer, die niemanden außer Allah fürchten« und »Wir können etwas tun, wir müssen etwas tun!« steigerten nicht nur meinen Enthusiasmus, sondern gaben mir das Gefühl, erwachsen geworden zu sein. In der Organisation engagierten sich viele junge Studenten, die sonst in Ägypten keine Chance auf politische Partizipation hatten. Im Gegensatz zu anderen islamischen Bewegungen, wie dem »Islamischen Dschihad« oder »Dschama’a Islamiyya«, war der Diskurs in der Muslimbruderschaft einigermaßen intellektuell fundiert und sprach Studenten an. Wir empfanden diese Art der Auseinandersetzung trotz ihrer religiösen Färbung als modern und emanzipatorisch. Neue hermeneutische Definitionen des Islam waren möglich. Die Muslimbruderschaft setzte ganz auf ideologische Mobilisierung und nicht auf den unmittelbaren bewaffneten Kampf für die Veränderung der bestehenden politischen und sozialen Verhältnisse. »Errichtet den Staat Gottes in euren Herzen, so wird er bald auf eurem Territorium entstehen«, wurde Scheich Hudaibi, einer der Gründer der Bewegung, zitiert.
Es war beruhigend, dass ich nicht allein war. Die Auseinandersetzung mit der Moderne belastete einen Großteil meiner Generation, die auch die Generation von Mohamed Atta ist, einem der Attentäter des 11. September. Kulturelle und religiöse Identität schien uns häufig im Widerspruch zu persönlichem, wirtschaftlichem und politischem Erfolg zu stehen. Meine Generation steckte in einem Dilemma: Einerseits war sie von den Eltern traditionell und konservativ erzogen worden, andererseits sah sie sich den Verführungen der Zivilisation ausgesetzt. Kulturstau und kulturelle Konfusion begleiteten uns auf der Suche nach Orientierung und Anerkennung. Zu unserer Zeit stieß kein Internet, kein Satelliten- TV ein Fenster zur Welt auf. Wir standen in einem gespaltenen Verhältnis zum Westen, zu seiner Kultur und seinen Werten. Einerseits waren wir begeistert von der technischen Entwicklung und den westlichen Produkten und nutzten diese auch, soweit wir sie uns leisten konnten; andererseits fühlten wir uns bedroht, überholt und gedemütigt von der westlichen Welt. Je häufiger wir in Ägypten mit ihr in Berührung kamen, desto stärker nahm sowohl unsere Faszination als auch unsere Angst zu, von dieser Form der Zivilisation überflutet zu werden. Die Muslimbrüder wussten sehr gut, den Westen und
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