Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
während der Revolution verfasst wurde, ist nach wie vor lang. Bisher wurde davon nur der Abgang von Mubarak erfüllt. Am Nachmittag des 9. März wurde es erneut ungemütlich. Die Szenen, die sich da abspielten, erinnerten mich an die »Schlacht des Kamels«, nur dass die Reittiere fehlten. Schlägerbanden in Zivil betraten den Platz, schlugen auf Demonstranten mit Stöcken und Knüppeln ein und rissen die Zelte auf dem Platz ein. Anfangs dachte ich, es handele sich um die Offiziere der Staatssicherheit, die sich dafür rächen wollten, dass die Demonstranten seit Tagen ihre Büros landesweit verwüsten. Doch bald kamen Soldaten dazu und schlugen ebenfalls auf die Zelte ein, schleppten Männer und Frauen, die sich wehrten, weg und gingen mit ihnen zum Ägyptischen Museum. Es war klar, dass es sich um eine geplante Aktion der Armee handelte, um den Platz frei zu machen. Das, was die Schlägerbanden Mubaraks am 2. Februar nicht geschafft hatten, schaffte dann die Armee am 9. März.
Später kam heraus, dass viele Demonstranten verprügelt und mit Elektroschocks gequält worden waren. Eine Bekannte von mir wurde an diesem Tag verhaftet, gefoltert und vor ein Militärgericht gestellt, während sich Mubarak und seine Söhne nach wie vor in Sharm El-Sheikh unbehelligt am Strand sonnten.
Salwa Husni, eine 20-jährige Friseurin, sagte CNN gegenüber, dass sie von Armeeoffizieren im Ägyptischen Museum ins Gesicht geschlagen und als Hure beschimpft wurde. Die Frau, die übrigens ein Kopftuch trug, sagte, die Soldaten wollten uns zeigen, dass wir würdelos sind. Danach ist sie mit 16 weiteren Frauen zu einem Militärstützpunkt außerhalb Kairos verschleppt worden, wo sie gegen ihren Willen einem absurden Jungfräulichkeitstest unterzogen wurden. Den Test hat ein Mann durchgeführt. »Ich stand vor dem Nervenzusammenbruch, als ich im Bett lag, hinter mir eine Gruppe von Soldaten, die alles beobachteten, vermutlich als Zeugen«, sagte Salwa.
Die Praktiken, die vom alten Regime als Mittel der Einschüchterung von Regimegegnern verwendet wurden und gegen die Millionen Ägypter Ende Januar protestierten, kehrten zurück. Lange bestritt der Militärrat die Vorfälle, bis ein Armeegeneral zwei Monate später nicht der ägyptischen Presse, sondern CNN gegenüber zugab, dass es diese Tests in der Tat gegeben hatte. Er rechtfertigte die Tests folgendermaßen: »Wir wollten nicht, dass sie hinterher behaupten, sie wären von Armeesoldaten sexuell genötigt oder vergewaltigt worden.«
Das sind die neuen Machthaber in Ägypten, die das Land in die Demokratie führen wollen. Sie leiden an den gleichen Krankheiten wie das Regime Mubaraks. Kein Wunder, denn diese Generäle wurden von Mubarak herangezogen und waren 30 Jahre lang auch Garanten für die Stabilität seiner Herrschaft. Als sie eine Verfassungsänderung herbeiführen wollten, luden sie dazu lediglich zehn alte Juristen ein, alles Männer, alles Muslime. Doch am darauffolgenden Freitag war der Tahrir-Platz erneut voll. Die Demonstranten ließen sich nicht einschüchtern und demonstrierten weiter gegen die geplante Verfassungsänderung, die keine war.
Aus Libyen, Syrien und Bahrain kommen ähnliche Berichte. Frauen werden vergewaltigt, gefoltert und weggesperrt, weil sie sich trauen, nein zu sagen. Gaddafis Männer sollen sogar Viagra an Soldaten und Söldner ausgeteilt haben, damit sie mehr rebellische Frauen vergewaltigen können. Dadurch will das Regime nicht nur die Frau als Person einschüchtern, sondern Schande über ihren gesamten Klan bringen. Außerdem sollen die Rebellen zu Hause bleiben, wenn sie die Erzählungen über Vergewaltigungen hören, um ihre eigenen Frauen, Töchter und Schwestern zu beschützen. Die Diktatur lebt von solchen Vorstellungen von Ehre und Schande, denn diese dienen der Legitimierung der Hierarchie und der Bevormundung im Namen der Bewahrung der Ehre. Keiner verwendete das Wort »Ehre« so inflationär wie Gaddafi, Assad und Saleh.
Somaya ist eine sehr starke Frau. Die Mitarbeiterin eines Buchladens in Kairo stammt aus einer Familie, die kein Wort über Politik verliert, obwohl sie allen Grund dazu hätte.
Der Vater arbeitete vor vielen Jahren in einer staatlichen Tabakfabrik in Kairo und stellte fest, dass sich die Führungsetage der Fabrik schamlos an öffentlichen Geldern bereicherte. Als er die Verstöße meldete, wurde kein Verfahren eröffnet, sondern er wurde nach Südägypten versetzt. Von dort aus schickte er Beschwerden gegen die
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