Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Israel als Feindbilder zu etablieren, die dafür verantwortlich gemacht werden, dass die islamische Welt den Anschluss an die Moderne verpasst hat. Hier haben sie sich kaum unterschieden von den offiziellen Schulbüchern, die uns Hass gegen den Westen lehrten. Doch für viele von uns spielte der Westen auch die Rolle eines Hoffnungsträgers, von dem wir uns die Instrumente der Moderne, wie Wissenschaft und Technik, würden entleihen können. Europa führte uns die Möglichkeiten der politischen Transformation und Demokratie vor Augen. Der europäische Einigungsprozess war für uns ein Beispiel für die erhoffte islamische Einigung, die »Umma«.
Das Verhältnis der Muslime zum Westen wird in der Rhetorik der Muslimbrüder wie in den offiziellen Schulbüchern nicht zuletzt von zwei historischen Ereignissen und einem aktuellen Konflikt belastet. Es handelt sich zum einen um die Kreuzzüge und die Kolonialisierung und zum anderen um den akuten Nahostkonflikt.
Zugleich war die Muslimbruderschaft für unsere Generation eine Möglichkeit zur Emanzipation von der Generation der Väter, die einen traditionalistischen, herrschaftstreuen Islam predigten. Die Brüder gaben dem Islam den Hauch einer Revolution und versprachen Veränderung. Ein Versprechen, das sie aber nie einlösen konnten. Bald wurde mir klar, dass die Muslimbrüder genauso am Status quo interessiert sind wie das Regime Mubarak auch. Beide lebten von Worten, die sie nie in die Tat umsetzen, und vermeintlichen Feinden, die sie nie wirklich bekämpfen. Als ich erkannte, dass die Muslimbrüder nur die andere Seite der Medaille Mubarak waren, verließ ich die Gruppe, kurz bevor ich mich entschied, nach Deutschland zu emigrieren.
2005 kam es zu einem merkwürdigen, für mich aber nicht mehr überraschenden Deal zwischen dem Regime Mubarak und den Muslimbrüdern: Obwohl es laut der Verfassung keine religiösen Parteien in Ägypten geben darf, erlaubte Mubarak den Muslimbrüdern, als Einzelkandidaten an den Parlamentswahlen teilzunehmen. Die Brüder stellten ihre populärsten Kandidaten in Wahlkreisen auf, wo andere linke, extrem regimekritische Oppositionelle auftraten, während sie sich vollkommen aus Wahlkreisen zurückzogen, wo die wichtigsten Männer des Regimes zur Wahl standen. Das Ergebnis war die Verbannung der Opposition aus dem Parlament und die Belohnung der Muslimbrüder mit 80 Sitzen im Hause des Volkes. 2008 kündigte der damalige Chef der Muslimbrüder, Mahdi Akef, an, dass er die Kandidatur Mubaraks für eine sechste Wahlperiode unterstütze. Während andere Oppositionsgruppen aktiv gegen die Wiederwahl Mubaraks oder die Weitergabe der Macht an seinen Sohn vorgingen, blieben die Muslimbrüder in beiden Fragen passiv.
Diese opportunistische Taktik wurde während der Januar-Revolution dieses Jahres deutlich. Als die Internetaktivisten den 25. Januar zum Tag der Revolte erklärten, kündigten die Muslimbrüder an, sich daran nicht zu beteiligen. Erst nachdem die Revolution Erfolge zeigte und es danach aussah, dass Mubarak nie wieder seine Macht zurückerlangen könnte, entdeckten die Muslimbrüder ihre revolutionäre Ader und behaupteten, ein wesentlicher Bestandteil dieser Revolution gewesen zu sein. Ihre Rolle während der »Schlacht des Kamels« war ihr wichtigstes Argument, und sie behaupten, der zweite Administrator der Seite »Khalid Said« sei ein Muslimbruder und dieser hätte im Verborgenen gearbeitet, während der Google-Manager Wael Ghoneim sich medial profilierte.
Kaum war Mubarak weg, erklärten die Muslimbrüder dem Militärrat, der die Befugnisse des Präsidenten übernahm, ihre absolute Loyalität. Als der Militärrat voreilig einige Verfassungsänderungen vornahm und zu diesen nur sechs Wochen nach dem Sturz Mubaraks in einem Referendum die Bevölkerung nach ihrer Meinung fragen wollte, riefen die Muslimbrüder alle Ägypter nicht nur dazu auf, sich am Referendum zu beteiligen, sondern auch mit Ja zu stimmen. Wer nicht zustimmen würde, verstoße gegen den Willen Gottes, hieß es in einer Verlautbarung eines führenden Mitglieds der Muslimbrüder. Eine unverständliche Haltung, zumal die Jugend, die eigentlich die Revolution trug, und die restlichen Oppositionsgruppen die Verfassungsänderung für eine Farce hielten, da das Land eine vollkommen neue Verfassung braucht. Kosmetische Korrekturen der alten Verfassung, die Sadat und Mubarak auf den Ausbau ihrer Macht zugeschnitten hatten, reichen sicher nicht aus.
Die Belohnung, die
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