Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Investitionen kann Europa nicht nur neue, billige Produktionsstandorte schaffen, um mit China Schritt zu halten, sondern auch beim Aufbau einer Arbeitermittelschicht in diesen Ländern helfen, die wiederum einen Absatzmarkt für europäische Produkte darstellen könnte.
Angesichts der gigantischen Herausforderungen an die Energiepolitik – nach Fukushima und im Angesicht der Klimakatastrophe – kann eine enge Kooperation im Bereich der Solarenergie beiden Seiten des Mittelmeers eine blühende Zukunft eröffnen. Die eine Seite hat die Sonne, die andere das Know-how. Die eine Seite benötigt saubere Energie, die andere kann diese liefern. Auch Agrartechnologie und Tourismusbranche bergen noch zahlreiche Möglichkeiten für Investitionen. Jeder neu geschaffene Arbeitsplatz ist eine neu geschaffene Zukunft für einen jungen, motivierten Menschen in einem arabischen Land. Kaum jemand, der in seiner Heimat eine Zukunftschance sieht, wird diese gegen eine lebensgefährliche Bootspassage übers Mittelmeer und eine ungewisse Existenz als illegaler Einwanderer oder Asylbewerber eintauschen. Wer einen Arbeitsplatz hat und in seiner Heimat bleibt, kann zur Hebung des Wohlstands und zur Schaffung einer Zivilgesellschaft beitragen.
Und wenn der alte und in seiner Bevölkerung zusehends überalterte Kontinent Europa auf gut ausgebildete Arbeitskräfte zurückgreifen möchte, könnte er diese in den arabischen Ländern anwerben. All dies mag angesichts der Spannungen, die zwischen Europa und der arabischen Welt seit Generationen herrschen, als Phantastereien erscheinen, aber es ist viel realistischer, als man denkt. Es ist so realistisch wie die Notwendigkeit, aus der diese Überlegung hervorgehen, denn die Alternative dazu wird sehr bitter für beide Seiten sein.
Noch nie waren beide Seiten des Mittelmeers so sehr aufeinander angewiesen wie heute. Wenn nämlich die herrschende Asymmetrie und wechselseitige Abneigung nicht abgebaut werden und beide nicht mehr für Versöhnung und Kooperation unternehmen, drohen beide Seiten des Mittelmeers, Europa und die arabischen Staaten, zu scheitern. Der alte Kontinent wird an seine demographischen und wirtschaftlichen Grenzen stoßen und implodieren, und die arabische Welt wird, sollte der Umbruch nicht in Demokratie und Wohlstand münden, nicht nur zu Lethargie und Selbstzerfleischung zurückkehren, sondern förmlich explodieren. Das Erwachsenwerden von jungen, frustrierten Massen ohne Perspektiven kann in Wellen der Gewalt münden, die politisch nicht mehr zu kontrollieren sind.
Man sollte sich jedoch davor hüten, Europa im Namen der Gefahren, die entstehen könnten, zu erpressen, um mehr Hilfe für Nordafrika bereitzustellen. Denn diese Hilfe soll nicht in der Form von Almosen oder Schutzgeld erfolgen, sondern als eine langfristige Investition, die auch der europäischen Wirtschaft lebenswichtige Perspektiven eröffnen könnte.
Die arabische Revolution birgt nicht nur für die Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten, sondern auch für den Westen, zumal für Europa, grundsätzlich zwei Optionen: eine Chance und eine Gefahr. Für die europäischen Staaten kommt es nun darauf an, ob, wie und wann sie das Richtige tun: Verharrt man weiter in einer Haltung, die wohl mit Lippenbekenntnissen die Partei der Demonstranten ergreift, aber weiterhin mit den alten Eliten Geschäfte macht und ihnen sogar Waffen liefert, oder stellt man sich auf die Seite der Demokraten und unterstützt sie dabei, zivile Strukturen zu schaffen? Beendet Europa die ökonomische Apartheid und betreibt endlich fairen Handel mit Nordafrika, oder setzt es nach wie vor auf eine fragwürdige Wirtschafts- und Energiepolitik? Nimmt Europa Abstand von Waffengeschäften mit Diktatoren und dubiosen Vereinbarungen mit Warlords? Wechselt Europa in die Facebook-Diplomatie, oder bleibt es im Öl-Zeitalter stecken? Das sind die zentralen Fragen, die Deutschland und seine Nachbarländer gemeinsam beantworten müssen.
Aber die arabischen Staaten sind nicht nur Gegenstand der Geschichte, ihre Menschen haben bewiesen, dass sie Geschichte schreiben können. Deshalb ist es an ihnen, diese Herausforderungen mit Blick auf eine offene, chancenreiche Zukunft zu beantworten: Schaffen es die Araber, sich von den alten Identitätsmustern und der Erziehung zu Hass und Selbstverherrlichung zu lösen? Gibt man seine alten Feindbilder zugunsten einer auf Respekt und gegenseitigem Interesse basierenden Partnerschaft auf? Ebnet man den Frauen
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