Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
echte Demokratie und damit auch für eine Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Christen, Muslimen, Bahai, Alawiten, Kurden und Areligiösen, oder diese Demokratie wird daran scheitern, dass man die Vergangenheit nicht hinter sich lassen kann. Immer scheiterte die Modernisierung in der arabischen Welt an zwei hohen Mauern: der Stammeskultur und der Religion. Beide Mauern waren der beste Schutz für Diktatoren. Die arabischen Nationen müssen beide Mauern niederreißen, oder zumindest einige Durchgänge öffnen. Die Ägypter sollten nach ihrem verlorenen Alexandria suchen, die Iraker nach Bagdad und die Syrer nach dem alten Damaskus. Alle sollten den Mut haben, bevor es zu spät wird, die Tore der Städte wieder zur Welt hin zu öffnen.
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Der Weg nach Gaza
führt über den Tahrir-Platz
A us nachvollziehbaren Gründen war der Status quo im Nahen Osten für Israel immer eine bessere Option als jede Umwälzung, denn jede Veränderung in der Region brachte neue Feinde für den jüdischen Staat mit sich.
Auf das Wort Revolution reagieren deshalb viele Israelis allergisch. Die Nasser-Revolution im Jahre 1952 brachte in Ägypten eine Militärdiktatur an die Macht, welche die Feindseligkeit gegenüber Israel zu ihrem wesentlichen Identitätsmerkmal machte. Zwei Kriege waren die Konsequenz. Auch zur islamischen Revolution im Iran 1979 gehörten von Anfang an die antiisraelische Rhetorik und die Infragestellung des Existenzrechts Israels. Mühsam erkämpfte man sich einen kalten Frieden mit Ägypten und Jordanien Ende der 1970er Jahre und immerhin die kalte Schulter der übrigen arabischen Staaten. Israel konnte gut damit leben, dass die Friedensverträge nicht mit der Bevölkerung in Ägypten und Jordanien, sondern mit zwei Männern ausgehandelt wurden: Sadat und König Hussein. Aber Israel konnte sich nicht aussuchen, mit wem es den Frieden schließt. Ein Schwachpunkt des Friedensvertrags liegt auch darin, dass er die Beziehung zwischen Israel und seinen beiden Nachbarn regelt, aber keine Lösung des palästinensischen Problems vorsieht.
Nun erwacht Israel wie der Rest der Welt und muss erkennen, dass es von nun an nicht mehr von 22 Diktatoren, sondern von 315 Millionen arabischen Bürgern umgeben ist, die plötzlich ihre Stimme zurückgewonnen haben und bei allen politischen Themen mitreden wollen. Millionen von Arabern gingen ohne staatliche Genehmigung auf die Straße, nicht um die israelische Fahne zu verbrennen und »Tod Israel« zu rufen, sondern um »eine Demokratie wie in Israel zu haben«, wie eine vollverschleierte Demonstrantin auf dem Tahrir-Platz einem französischen Journalisten sagte. Selbstverständlich gab es Plakate, die Mubarak mit Davidstern auf dem Kopf zeigten, die man wohl als antisemitisch bezeichnen kann oder auch lediglich als den Versuch, zwei Feinde der Demonstranten zu diffamieren. Ja, auch für die meisten demokratiedurstigen Demonstranten gilt Israel nach wie vor als Feind.
Die Frage ist nur, warum die Ägypter 32 Jahre nach dem Abschluss des Friedensvertrags Israel nach wie vor als Feind betrachten, obwohl es seitdem nie wieder zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen beiden Staaten gekommen ist und obwohl Israel mit ägyptischem Erdgas 40 Prozent seines Energiebedarfs deckt und die Ägypter von der Agrartechnologie der Israelis seit Jahren profitieren. Das Mitleid der Ägypter mit den Palästinensern ist ein Grund dafür, doch nicht der zentrale. Mubarak wusste zwar, dass Sadat wegen des Friedensvertrags mit Israel ermordet und dass Ägypten aus dem gleichen Grund aus der Arabischen Liga ausgeschlossen worden war, wollte aber an dem Vertrag festhalten. Und das nicht nur, um die Amerikaner nicht zu verärgern, die Ägypten mit Milliardenhilfen versorgten, sondern weil er wusste, dass Ägypten nicht imstande sein würde, einen Krieg gegen Israel militärisch wie wirtschaftlich zu überstehen. Doch den Ägyptern, die vom Alleingang Sadats verärgert waren, musste er vermitteln, dieser Frieden sei lediglich eine »strategische Option«, also vorübergehend. Israel blieb auch unter Mubarak in den Schulbüchern und staatlichen Medien der Feind. Antiisraelische Hetze war immer eines von Mubaraks Lieblingsmitteln, um von innenpolitischen Spannungen abzulenken. Obwohl Demonstrationen in Ägypten laut dem geltenden Kriegsrecht strikt verboten waren, ließ Mubarak diese zu, solange es sich um antiwestliche oder antiisraelische Kundgebungen handelte. Den internationalen Medien gab
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