Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
ein neugeborenes Palästina, das ohnehin überbevölkert ist und im Falle Gazas auf engstem Raum beschränkt ist. Deshalb wäre das »Recht zu bleiben« eine Alternative zum Recht auf Rückkehr. Staaten wie Syrien, der Libanon und die Golfstaaten haben diesen Flüchtlingen keine Bürgerrechte verliehen und somit ihren Flüchtlingsstatus zementiert. Im Libanon zum Beispiel leben seit den 1970er Jahren rund 400 000 palästinensische Flüchtlinge. Auch diejenigen, die im Libanon geboren sind, erhalten weder die libanesische Staatsbürgerschaft noch sind sie auf dem Arbeitsmarkt gleichberechtigt, geschweige denn, dass man ihnen überhaupt eine Arbeitserlaubnis gewährt. Manche von ihnen durften sogar eine Zeitlang ihr Lager nicht verlassen. Was eine eindeutige Diskriminierung darstellt, wird den leidenden Palästinensern als eine Maßnahme zur Bewahrung ihrer Identität und ihres Rechts auf Rückkehr verkauft. Im Rahmen einer internationalen Regelung könnten diese Flüchtlinge entschädigt und in den Ländern, in denen sie jetzt leben, eingebürgert werden. Zu einem unabhängigen Palästina können sie natürlich als vereinzelte Gäste oder Investoren zurückkehren, aber nicht als Masse direkt nach der Entstehung des Staates. Diese Regelung ist allerdings moralisch nicht haltbar, solange Israel weiterhin Siedlungen für die aus den USA sowie aus Osteuropa zugewanderten Juden baut.
Alle anderen arabischen Nachbarn müssen begreifen, dass sie in den letzten Jahrzehnten zu viel Energie und Ressourcen mit dem Hass auf Israel vergeudet haben und dass der jüdische Staat nicht der Grund ihrer Misere war. Zur Demokratisierung gehört auch das Lernen, dass die eigene Version der Geschichte nicht unbedingt die richtige ist. Vieles, was die Diktatur den Untertanen über die Welt beibrachte, war tendenziös und irreführend. Auch das, was über Israel und über die Juden insgesamt erzählt wurde, gehört dazu. Eine neue Bildungspolitik ist daher dringend nötig, um sich von der Selbstverherrlichung, von der Opferrolle und von den klassischen Feindbildern zu lösen. Eine neue Lesart der Geschichte ist notwendig, welche die Sichtweise der anderen Seite nicht außer Acht lässt. Araber müssen mehr über die jüdische Geschichte und über den Holocaust erfahren, um die Psyche ihrer Nachbarn zu verstehen. Dadurch wird man lernen können, Konflikte nicht mehr emotional, sondern pragmatisch zu betrachten und praktikable Lösungen zu suchen, mit denen auch die andere Seite leben kann. Israel wiederum muss sich besser um seine arabischen Bürger kümmern und ihnen die volle Gleichberechtigung zubilligen. Hilfreich wäre sicher auch, das Erlernen der arabischen Sprache in den Schulen wieder zur Pflicht zu machen. Damit könnte auch eine Trennung in jüdische und muslimische bzw. christliche Schüler aufgehoben werden. Eine Trennung, die einem zukünftigen Miteinander nicht dienlich sein kann.
Auch kann Israel es sich nicht mehr leisten, als Insel im Ozean des Hasses zu leben. Die militärische Überlegenheit alleine wird die Sicherheit des Staates auf Dauer nicht garantieren. Ein Rüstungswettlauf zwischen Israel, dem Iran und Saudi-Arabien unter Beibehaltung der gleichen Geisteshaltung in den drei Staaten wird automatisch zum nächsten Krieg führen.
Die politische, wirtschaftliche und demographische Entwicklung in der gesamten Region wird diese Spannung nicht länger aushalten können. Auch der kalte Frieden ist langfristig schädlich für alle Seiten. Ein »warmer« Frieden wird aber nicht auf Basis der Legende Abrahams und nicht durch den interreligiösen Dialog erreicht. Diese sind nur der Luxus der jüdischen und muslimischen Diaspora, die es sich leisten kann, in Legenden zu flüchten.
Was den Nahostkonflikt angeht, so können wir beobachten, dass unversöhnliche Töne und besonders kompromisslose Haltungen oft aus muslimischen und jüdischen Kreisen in den USA und Europa zu hören sind. Während Israelis und Palästinenser vor Ort miteinander ringen, um praktikable Lösungen zu finden, beschäftigt sich die jüdische und muslimische Diaspora mehr mit den Fehlern der jeweils anderen Seite. Selbstkritik? Wozu. Doch warum ist das so?
Die Diaspora hat ein schlechtes Gewissen. Die Leute sagen: Uns geht’s gut hier. Es steht uns nicht zu, den Menschen in Israel vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben. Wir sollten sie lieber unterstützen, heißt es oft. Anders als die Menschen im Nahen Osten, die den Konflikt
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