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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Prioritäten setzt«. Einer der Kandidaten, der dieses marode Machtsystem nach der Revolution beerben will, ist der oben genannte Jurist al-Awwa. Er kündigte seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten an und darf sich sogar gute Chancen ausrechnen.
    Die unmittelbaren Gründe für den Anschlag, der 23 Menschenleben forderte und bei dem beinahe 100 weitere Personen verletzt wurden, sind leicht offenzulegen: Die islamistischen Terroristen suchen Ziele, mit denen sie Schlagzeilen machen können. Große Attentate in Europa sind ihnen seit den Bombenanschlägen von London und Madrid nicht mehr gelungen, und der tägliche Terror im Irak beeindruckt mittlerweile die Medien kaum noch. Alexandria bot sich also als leicht zugängliches und für die Weltöffentlichkeit interessantes Ziel an. Gleichzeitig war das Regime in Ägypten in innenpolitische Schwierigkeiten sowie Streitereien zwischen dem Innenminister und den Anhängern von Gamal Mubarak, dem Sohn des Ex-Präsidenten, verstrickt. Auch die ersten Nachrichten über Demonstrationen in Tunesien machten das Regime nervös. Da kam es gerade recht, dass man seine Rechnungen sozusagen auf Kosten der Kopten begleichen konnte.
    Es mag sein, dass die Lage in Palästina und der Irak-Krieg den Terrorismus und die Unterdrückung der orientalischen Christen begünstigt haben. Und tatsächlich hat George W. Bush selbst das Stichwort »Kreuzzug« gegeben. Doch der Terror und die Hetze gegen die Kopten hatte Ägypten bereits ergriffen, bevor George Bush senior und junior Präsidenten der USA wurden. Der Ursprung des Terrorismus ist vielmehr im Denken einiger Muslime zu suchen: Al-Qaida kann heute nicht in Ägypten agieren ohne die Unterstützung dortiger Radikaler. Vermutlich waren es auch bei dem Attentat auf die Kopten orientierungslose junge Ägypter, die den schnellen Weg ins Paradies suchten. Menschen, denen eingeflüstert wurde, die Kopten seien ein Hindernis für einen homogenen islamischen Staat mit der Scharia als Rechtsordnung.
    Nach der Nasser-Revolution 1952 wurden die ägyptischen Juden beschuldigt, die fünfte Kolonne Israels zu sein. Sie wurden verfolgt, enteignet und mussten das Land verlassen. Seitdem ist Ägypten menschlich und kulturell ärmer geworden. Dieses Schicksal könnte nun auch viele Kopten ereilen.
    Der Westen war immer ungeduldig, wenig visionär und am sicheren Zugang zu Rohstoffen und Märkten interessiert. Deshalb schloss man aus kurzfristigen strategischen Erwägungen Allianzen mit Diktaturen: mit Mubarak, mit den Saudis, mit Pakistan – natürlich stets den Kampf gegen den Terror beschwörend. Jetzt aber sieht man, dass diese Allianzen langfristig mehr geschadet als genutzt haben, denn die Stabilität in den drei genannten Staaten lässt sehr zu wünschen übrig. Die Diktatur aber begünstigt den Terrorismus, weil sie die Frustration in der Bevölkerung steigert. Nach dem Ende der Diktatur in Ägypten kommen nun alle Krankheiten der Gesellschaft ans Tageslicht.
    Aus Angst vor einem ungewissen Ausgang der Revolution ordnete der koptische Patriarch an, die Kopten sollten Demonstrationen fernbleiben. Er hatte vorher leider auch die Vererbung der Macht an den Sohn Mubaraks begrüßt. Aus der Logik einer unterdrückten Gruppe ist diese Haltung verständlich, denn der Status quo ist für diejenigen, die zwischen den Stühlen sitzen, besser als eine Umwälzung, welche die Falschen an die Macht bringt. Lieber die Diktatur Mubaraks als die Diktatur der Scharia, falls die Islamisten an die Macht kommen. Trotzdem beteiligten sich viele Kopten an den Demonstrationen und bildeten sogar in einer viel beachteten Szene eine Menschenkette um die betenden Muslime, als diese auf dem Tahrir-Platz von bewaffneten Kamelreitern angegriffen wurden. Auch junge Muslime erwiderten die Geste und beschützten die Christen, als diese ihren Gottesdienst auf dem Platz feierten.
    Es sah so aus, als hätte die Revolution die Differenzen zwischen Muslimen und Christen endgültig geglättet, doch vier Wochen nach dem Sturz Mubaraks wurde erneut eine Kirche südlich von Kairo niedergebrannt. Auslöser war ein Liebesdrama: Ein Kopte hatte eine sexuelle Beziehung mit einer Muslimin. Die muslimische Familie stritt über den Ehrenmord an der Frau. Der Cousin tötete seinen Onkel, und die Kinder des Onkels töteten den Cousin. Nach dem Begräbnis der beiden ging der Klan zur Kirche und steckte sie in Brand. Weil die muslimische Familie Angst hatte, dass die Blutrache innerhalb des Klans

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