Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Eurorettungsschirm und der Rettung der vom Bankrott bedrohten Südstaaten der EU finanziell am Limit. Woher soll Europa die Energie und die nötigen finanziellen Ressourcen nehmen, die arabischen Nachbarn wirtschaftlich und gesellschaftlich zu entwickeln? Erstens, gerade weil Europa wirtschaftlich und finanziell am Limit ist, ist der alte Kontinent dazu verdammt, seine wirtschaftlichen Perspektiven zu erweitern und neue Märkte zu erschließen, auf denen noch etwas zu holen ist. Das Geld ist in der Tat ein Problem, aber kein unlösbares. Es gibt zurzeit drei Staaten oder Weltregionen, in denen hohe Liquidität für spontane Großinvestitionen vorhanden ist: Das sind China, Russland und die Golfstaaten. Alle warten nach der Revolution im Frühjahr 2011 ab, bis sich die politische Lage stabilisiert hat, warten darauf, die Chance auf große Investitionen zu ergreifen. Bislang waren die arabischen Investoren mit großen Projekten in den ärmeren arabischen Staaten sehr zögerlich, weil sie davon ausgingen, ihre Gelder wären in Europa und in den USA besser aufgehoben. Doch da viele von ihnen größere Summen in den Sümpfen der virtuellen Finanzwelt des Westens verloren haben, orientieren sie sich jetzt neu und suchen seriöse, produktionsorientierte Investitionen. Sie schraken in der Vergangenheit vor großen Investitionen in Ländern wie Ägypten zurück, weil die wichtigsten Wirtschaftsbranchen von regimenahen Investoren monopolisiert waren. Dies dürfte sich nun ändern. Auch tunesische und ägyptische Investoren, die in beiden Ländern oder im Ausland leben, werden nun ermutigt, nach dem Ende der Diktatur und hoffentlich bald auch der Korruption, ihre Gelder in die Wirtschaft ihrer Heimatländer zu investieren. Was Investoren, egal woher sie kommen, brauchen, ist Berechenbarkeit, Sicherheit und eine stabile Infrastruktur. Letzteres ist in Ägypten und in Tunesien bereits vorhanden. An den beiden anderen Faktoren muss in den nächsten Monaten hart gearbeitet werden.
Auf keinen Fall dürfen Länder wie Tunesien und Ägypten nun neue Schulden beim Internationalen Währungsfonds IWF machen, sonst geraten sie in ein Wirtschaftskorsett, aus dem sie sich langfristig nicht mehr lösen können, denn die Auflagen für neue Schulden können die Entfesselung der Wirtschaft massiv hemmen. Dann werden die beiden Länder dafür bestraft, dass sie eine Revolution wagten.
Die Globalisierungskritikerin und Bestsellerautorin Naomi Klein schrieb auf ihrem Blog am 13. Februar, also zwei Tage nach dem Sturz Mubaraks, einen Artikel »Democracy born in chains«, »In Ketten geborene Demokratie«, in dem sie die Ägypter davor warnte, in der Zeit der Transformation voreilige Entscheidungen über Schulden beim IWF zu treffen, die fatale Konsequenzen für das Land haben könnten. Sie erinnerte an die Erfahrung von Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Im Namen der sanften Transition unterzeichnete damals die NRC -Partei von Nelson Mandela Verträge mit dem IWF , die eine zügellose Liberalisierung des Marktes garantierten, was eine soziale Gerechtigkeit im Land bis heute unmöglich macht. Es war der gleiche Fehler, den Sadat in den 1970er Jahren beging und wodurch er eine Zwei-Klassen-Gesellschaft schuf, in der ein Prozent der Bevölkerung über 80 Prozent des Vermögens verfügt. Auch Mubarak startete Anfang des neuen Millenniums eine Welle der Privatisierung, welche die Wirtschaft des Landes beinahe ruinierte. Staatliche Firmen und Fabriken, die eigentlich gut funktionierten und Gewinne machten, wurden an private Investoren für lächerliche Summen verkauft. Die Investoren haben diese Fabriken oft nicht weiterentwickelt, sondern geschlossen, die Mitarbeiter entlassen und das Gelände als Grundstück für höhere Summen an andere Investoren verkauft. Offiziell nannte sich das Ganze »Liberalisierung des Marktes«, in Wirklichkeit ging es nur um die Bereicherung von Mubarak und seiner Elite, die für milliardenschwere Kommissionszahlungen das Vermögen des Landes veruntreut haben. Leidtragende sind die Arbeiter und deren Familien.
Der einzige, wenn auch bedeutende finanzielle Beitrag, den westliche Staaten leisten können, ist ein Schuldenerlass für Ägypten und Tunesien, um Investitionen in die Zukunft zu ermöglichen, oder aber zumindest eine Stundung der hohen Zinsen, die für beide Länder eine enorme Belastung darstellen. Außerdem können westliche Regierungen und Geldinstitutionen größere Transparenz zeigen, um die geheimen
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