Krieg und Frieden
sein Gesicht.
»Nun, ich werde nach Hause fahren, ich muß es dort vergessen haben«, sagte er.
»Nein, Sie werden zu Tisch zu spät kommen!« Sonja war bereits ins Vorzimmer gegangen und hatte das Papier in Peters Hut gefunden, wo er es sorgfältig bereit gelegt hatte, und wollte es sogleich vorlesen.
»Nein, nach Tisch!« sagte der alte Graf, der diese Vorlesung für ein großes Vergnügen ansah.
Nach Tisch wurde Champagner getrunken auf die Gesundheit des neuen Georgenritters. Schinschin erzählte von Stadtneuigkeiten, von Metivier, der aus Moskau verschwunden war, und von Rostoptschin, dem man einen Deutschen vorgeführt habe mit der Beschuldigung, er sei ein Champignon, und wie Rostoptschin befohlen habe, den Champignon freizulassen und dem Volk gesagt habe, das sei kein Champignon, sondern nur ein alter, deutscher Pilz.
»Ja, ja«, sagte der Graf, »ich habe der Gräfin schon gesagt, sie soll weniger französisch sprechen, das schickt sich jetzt nicht.«
»Haben Sie schon gehört«, sagte Schinschin, »Fürst Galizin hat einen russischen Lehrer genommen, er will Russisch lernen, es wird gefährlich, auf den Straßen Französisch zu sprechen.«
Nach Tisch lehnte sich der Graf auf seinem Stuhle zurecht und bat Sonja mit ernster Miene, das Manifest vorzulesen.
»Der Feind ist mit großer Macht in Rußlands Gebiet eingedrungen, er verheert unser geliebtes Vaterland!« las Sonja mit ihrer dünnen Stimme. Natalie blickte bald ihren Vater, bald Peter an. Peter fühlte ihren Blick auf sich und suchte ihn zu vermeiden. Die Gräfin begleitete jeden feierlichen Ausdruck mit erzürntem Kopfschütteln. Schinschin war in spöttischer Stimmung und bereit, sich über alles lustig zu machen, über Sonjas Vorlesen, über das, was der Graf sagen werde, sogar über den Aufruf selbst in Ermangelung eines anderen Gegenstandes.
Sonja las von den Gefahren, welche Rußland drohten, und von den Hoffnungen, welche der Kaiser auf Moskau und besonders auf den Adel setzte. Die letzten Worte las sie mit zitternder Stimme: »Wir werden demnächst inmitten unseres Volkes in der Residenz erscheinen, sowie in anderen Städten unseres Reiches, um den Landsturm aufzurufen, welcher dem Feinde den Weg verlegen und ihn in Schrecken versetzen wird, wo er auch erscheinen mag. Das Verderben, das er uns zugedacht hat, wird auf sein Haupt zurückfallen, und das befreite Europa wird den Namen Rußlands preisen.«
»Ja, so ist's!« rief der Graf mit feuchten Augen. Schinschin hatte seinen Witz über den Patriotismus des Grafen noch nicht ausgesprochen, als schon Natalie aufsprang, auf ihren Vater zueilte und ihn umarmte.
»Sieh doch, die Patriotin!« sagte Schinschin.
»Scherz beiseite!« rief der Graf. »Wenn der Kaiser ein Wort spricht, so kommen wir alle, wir sind nicht solche Deutsche.«
»Aber jetzt, Papa«, rief Petja, »sage ich es Ihnen und Mama entschieden, ich gehe zu den Husaren!«
Die Gräfin erhob mit Entsetzen die Augen zum Himmel.
»Sieh doch«, rief der Graf, »was für ein Krieger! Aber lasse jetzt den Unsinn!«
»Das ist kein Unsinn, Papachen, Fedja Obolensky geht auch, und ich kann jetzt nichts lernen, solange das Vaterland in Gefahr ist!«
»Höre auf mit den Dummheiten!«
»Sie haben doch selbst gesagt, Sie wollen alles opfern!«
»Schweig!« rief der Graf. Die Gräfin blickte erbleichend ihren Sohn an.
»Peter Kirilitsch, kommen Sie rauchen!« sagte der alte Graf und nahm die Papiere zusammen, um sie in seinem Kabinett vor dem Einschlafen nochmals zu lesen.
Peter war verlegen und unschlüssig, die ungewöhnlich glänzenden, lebhaften Augen Natalies hatten ihn in diesen Zustand versetzt.
»Nein, ich werde nach Hause fahren«, sagte er.
»Nach Hause? Und Sie wollten doch zum Abend bleiben? Das ist jetzt solch eine Seltenheit! Und diese da«, sagte der Graf, auf Natalie deutend, »ist nur in Ihrer Gegenwart vergnügt.«
»Ja, ich habe vergessen – ich muß durchaus nach Hause!« sagte Peter hastig.
»Nun, denn auf Wiedersehen!« erwiderte der Graf und verließ das Zimmer.
»Warum wollen Sie gehen?« fragte Natalie.
»Weil ich dich liebe«, wollte er sagen, aber er senkte errötend die Augen. »Weil es besser ist... wenn ich seltener komme ... weil... nun, weil ich zu tun habe ...«
Natalie schwieg. Sie blickten sich beide erschreckt und verwirrt an und Peter beschloß, nicht wieder zu Rostows zu gehen.
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Am anderen Tag kam der Kaiser. Einige der Dienstleute baten um Erlaubnis, ihn zu sehen. Petja
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