Krieg und Frieden
Aushebung oder Landsturm, das überlassen wir der höchsten Gewalt zu beurteilen ...«
Jetzt fand Peter plötzlich einen Ausweg für seine Aufregung, er war erzürnt auf den Senator, über seine Pedanterie und Engherzigkeit.
»Entschuldigen Sie mich, Exzellenz«, begann Peter, »wenn ich damit nicht übereinstimme.« Er kannte den Senator sehr wohl, hielt es aber für notwendig, einen offiziellen Ton zu beobachten. »Aber ich glaube, es ist die Pflicht der Adelsversammlung, nicht nur ihre Begeisterung auszudrücken, sondern auch jene Maßregeln zu überlegen, mit denen wir dem Vaterland helfen können. Ich vermute«, fuhr er noch lebhafter fort, »daß der Kaiser selbst unzufrieden wäre, wenn er in uns nur die Besitzer von Leibeigenen finden würde, die wir ihm als Kanonenfutter geben, und bei uns keinen Rat finden würde!«
Viele, welche ein verächtliches Lächeln des Senators bemerkten, verließen den Kreis. Nur Graf Rostow war zufrieden mit Peters Rede, wie er mit der des Marineoffiziers, des Senators und überhaupt immer mit der zuletzt gehaltenen Rede einverstanden war.
»Ich bin der Meinung, ehe wir diese Frage erörtern«, fuhr Peter fort, »sollten wir Seine Majestät ehrerbietig bitten, uns mitzuteilen, wieviel Truppen wir haben, und in welchem Zustand sie sich befinden, und dann...«
Kaum hatte Peter diese Worte gesprochen, als man von drei Seiten zugleich ihn anfiel. Am giftigsten war einer seiner alten Bekannten, der so oft freundschaftlich Boston mit ihm gespielt hatte, namens Adraxin. Er trug auch Uniform und erschien Peter darin ganz fremdartig. Mit boshaftem, verzerrtem Gesicht schrie er Peter an.
»Erstens muß ich Ihnen sagen, daß wir nicht das Recht haben, Seine Majestät danach zu fragen, und zweitens, wenn der russische Adel auch das Recht hätte, so könnte der Kaiser uns diese Frage nicht beantworten. Die Truppen bewegen sich je nach den Bewegungen des Feindes, manche fallen oder werden verwundet.«
»Es ist jetzt nicht Zeit zu überlegen«, schrie ein anderer, den Peter als schlechten Kartenspieler kannte, »man muß handeln! In Rußland herrscht Krieg, unser Feind ist gekommen, um Rußland zu vernichten und die Gräber unserer Väter zu beschimpfen, um Frauen und Kinder fortzuführen!« Dabei schlug sich der Mann auf die Brust. »Aber wir stehen alle wie ein Mann, alle für unser Väterchen, den Zar!« schrie er.
Einige beistimmende Zurufe kamen aus der Menge.
»Wir sind Russen und sparen nicht unser Blut für die Verteidigung des Glaubens, des Thrones und des Vaterlandes, aber unnütze Reden müssen wir unterlassen, wenn wir Söhne des Vaterlandes sind! Wir werden Europa zeigen, wie Rußland aufsteht für Rußland!« schrie er.
»Bravo! Bravo! So ist's!« schrien einige.
Peter wollte erwidern, er scheue keine Opfer, aber er kam nicht mehr zum Wort und wurde sogar grob unterbrochen. Man wandte sich von ihm ab wie von einem gemeinschaftlichen Feind. Dies geschah nicht, weil man mit seiner Rede unzufrieden war, welche nach den vielen anderen angehörten Reden bereits wieder vergessen war. Aber die Menge verlangte einen greifbaren Gegenstand der Liebe und einen greifbaren Gegenstand des Abscheus, und Peter wurde letzteres. Es folgten noch viele Redner, manche sprachen auch gut und originell.
150
In diesem Augenblick trat Graf Rostoptschin in Generalsuniform ein.
»Seine Majestät wird gleich hier sein«, sagte er. »Ich komme eben von dort, ich denke, in jetziger Lage gibt es nicht viel zu überlegen. Der Kaiser hat geruht, uns und die Kaufmannschaft einzuberufen, von dorther fliegen die Millionen!« Dabei zeigte er nach dem Saale der Kaufleute. »Unsere Sache ist es, den Landsturm aufzustellen, das ist das Geringste, was wir tun können.«
Es folgte eine kurze, leise Beratung, dann wurde der Sekretär beauftragt, einen Beschluß der Moskauer Adelsversammlung zu protokollieren, wonach der Adel zehn Mann auf tausend stellen wolle mit voller Ausrüstung. Die Herren, welche am Tisch saßen, erhoben sich geräuschvoll und gingen im Saal auf und ab.
»Der Kaiser! Der Kaiser!« hieß es plötzlich und die ganze Menge drängte nach dem Eingang.
In der breiten Gasse, welche die Versammelten gebildet hatten, trat der Kaiser in den Saal. Auf allen Gesichtern erschien Ehrfurcht und furchtsame Neugierde. Peter stand zu fern, um die Rede des Kaisers ganz zu verstehen, er begriff nur, daß der Kaiser von der Gefahr des Vaterlandes sprach und von den Hoffnungen, welche er auf den Moskauer
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