Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
war schon spät, Petja hatte noch nicht gegessen, aber er blieb vor dem Schloß stehen während der kaiserlichen Tafel und wartete noch immer.
    Nach Tisch sagte Walujew: »Das Volk hofft noch immer, Eure Majestät zu sehen!« Der Kaiser erhob sich, während er ein Stück Biskuit aß, und ging auf den Balkon. Das Volk stürzte mit Petja auf den Balkon zu.
    »Engel! Väterchen! Hurra!« rief das Volk und einige vergossen Tränen des Entzückens. Ein ziemlich großes Stück Biskuit fiel aus der Hand des Kaisers auf das Geländer und dann auf die Erde herab. Ein in der Nähe stehender Kutscher stürzte auf das Stück Biskuit und ergriff es, noch andere warfen sich auf den Kutscher, um es ihm zu entreißen. Als der Kaiser dies merkte, befahl er, einen Teller mit Biskuit zu bringen und warf sie alle vom Balkon herab. Trotz der Gefahr, erdrückt zu werden, suchte Petja ein Biskuit zu erwischen und warf ein altes Weib um, das auch eins auffangen wollte. Aber sie hielt sich nicht für besiegt, obgleich sie auf der Erde lag, sie hatte ein Biskuit erhascht. Petja stieß mit dem Knie ihren Arm zurück, erfaßte das Biskuit und schrie wieder: »Hurra!« mit heiserer Stimme, der Kaiser verließ den Balkon und der größte Teil des Volkes zerstreute sich. So glücklich Petja war, ging er doch mit betrübtem Herzen nach Hause. Er erklärte noch einmal entschieden, er werde davonlaufen, wenn man ihn nicht zu den Husaren lasse, und am anderen Tag fuhr der alte Graf aus, obgleich er noch nicht ganz nachgegeben hatte, um sich zu erkundigen, wie man Petja irgendwo in Sicherheit unterbringen könnte.

149
    Drei Tage später, am 15., standen beim Schloß im Kreml zahlreiche Equipagen.
    Die Säle waren gedrängt voll, in dem ersten waren die Edelleute in Uniformen, in dem zweiten die Kaufleute in blauen Kaftanen, mit Medaillen und langen Bärten. Im Saal der Adelsversammlung herrschte eine geräuschvolle Aufregung. An einem großen Tisch, unter dem Porträt des Kaisers, saßen auf Stühlen mit hohen Lehnen die höchsten Würdenträger, die meisten Adligen aber gingen im Saal umher. Alle trugen Uniformen, einige aus der Zeit der Kaiserin Katharina, Kaiser Pauls oder Kaiser Alexanders. Die meisten waren Peter bekannt, aber der besondere Charakter der Uniform gab ihnen ein seltsames, phantastisches Aussehen. Viele halb blinde, zahnlose, kahlköpfige, gelbe oder hagere Greise saßen schweigend an der Wand.
    Peter war schon am frühen Morgen gekommen und fühlte sich sehr unbehaglich in seiner engen Uniform. Er war in Aufregung. Die ungewöhnliche Versammlung, nicht nur des Adels, sondern auch der Kaufmannschaft, erweckte in ihm längst vergessene Ideen von einer Beratung des Kaisers mit seinem Volk, von einer Konstitution und der französischen Revolution. Das kaiserliche Manifest wurde vorgelesen und rief Begeisterung hervor, und dann gingen alle schweigend umher. Peter hörte, wie man darüber sprach, wo die Adelsmarschälle stehen sollen, wenn der Kaiser eintrete, wann man dem Kaiser einen Ball geben werde, ob man sich nach Kreisen oder nach Gouvernements aufstellen solle und so weiter. Sobald aber die Rede auf den Krieg kam, war alles unentschlossen und unklar.
    Ein schöner Mann in der Uniform eines verabschiedeten Marineoffiziers sprach in einem der Säle, und man drängte sich um ihn. Peter hörte zu und überzeugte sich, daß er wirklich ein Liberaler war, aber in ganz anderem Sinn, als Peter geglaubt hatte. Es war die Rede von der Einberufung des Landsturms.
    »Wenn die Adelsversammlung es nötig findet, so kann sie ihre Ergebenheit für den Kaiser auf andere Weise betätigen. Wir haben den Landsturm vom Jahre 1807 noch nicht vergessen. Hat er etwa dem Vaterlande Nutzen gebracht? Nicht im geringsten! Und was zu uns zurückkehrt, ist weder Soldat noch Bauer, sondern verworfenes Gesindel. Lieber eine Aushebung! Der Adel scheut keine Opfer, wir geben selbst alles und stellen noch Rekruten, und wenn der Kaiser ruft, sterben wir alle für ihn!« rief der Redner.
    Der Graf Rostow hörte mit Begeisterung zu und stieß Peter an. Peter wollte auch reden, obgleich er nicht wußte, was. Er öffnete eben den Mund, als ein Senator mit klugem und boshaftem Gesicht, der neben ihm stand, Peter unterbrach.
    »Ich vermute, meine Herren«, sagte er leise, »daß wir berufen sind, nicht um zu überlegen, was für das Reich am besten sei, Aushebung oder Landsturm, sondern um auf den Aufruf zu antworten, dessen uns der Kaiser gewürdigt hat. Was besser ist,

Weitere Kostenlose Bücher