Krieg und Frieden
er wieder im Vollbesitz der Gewalt war.
»Ja, Jakob Alpatitsch, wir sind dumm gewesen!« erwiderten die Bauern, und die Menge zerstreute sich ruhig, während man die Gefangenen nach dem Herrenhause führte.
Zwei Stunden später standen die Wagen angespannt vor dem Haus und die Bauern luden die Sachen auf unter Aufsicht von Dron, welcher auf die Bitte der Fürstin freigelassen worden war.
»Achtung!« rief einer der Bauern, ein junger Bursche mit einnehmender Miene seinem Genossen zu, der eine Kassette aus den Händen der Kammerzofe empfing. »Sie ist kostbar! Wirf sie nicht achtlos in eine Ecke! Siehst du so, man legt sie sorgfältig ins Heu!«
»Ach, wieviel Bücher! Wieviel Bücher!« sagte ein anderer, der einen Schrank der Bibliothek herausschleppte. »Stoßt mich nicht, Kinderchen! Himmel, wie schwer das ist! Was für schöne Bücher!«
Rostow wollte sich der Fürstin nicht aufdrängen und erwartete ihre Abreise im Dorf. Als die Wagen sich in Bewegung setzten, stieg er zu Pferd und begleitete sie zwölf Werst weit bis Jankowo, das von unseren Truppen besetzt war. Dann nahm er respektvoll Abschied von ihr und küßte ihr die Hand zum erstenmal.
»Sie beschämen mich«, erwiderte er errötend auf ihre lebhaften Dankesworte, »jeder Landpolizeimeister hätte dasselbe getan. Wenn wir nur Bauern zu bekämpfen hätten, so wäre der Feind nicht so tief ins Land gekommen«, fügte er mit etwas verlegenem Ton hinzu, um das Gespräch abzulenken. »Ich bin glücklich, die Ehre gehabt zu haben, Ihre Bekanntschaft zu machen. Leben Sie wohl, Fürstin, empfangen Sie meine besten Wünsche für die Zukunft und erlauben Sie mir, die Hoffnung auszusprechen, daß wir uns unter günstigeren Umständen wiedersehen werden.«
Die Miene der Fürstin Marie strahlte in lebhafter Erregung und Rührung. Sie fühlte, daß sie ihm den größten Dank schuldig war. Was wäre ohne ihn aus ihr geworden? Wäre sie nicht unfehlbar zum Opfer der aufständischen Bauern geworden oder den Franzosen in die Hände gefallen? Hatte er sich nicht den größten Gefahren ausgesetzt, um sie zu retten? Und welche zarte Rücksicht hatte er für ihre Lage und ihren Schmerz gezeigt! Seine guten, ehrlichen Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, als sie mit ihm gesprochen hatte, und das Andenken daran blieb in ihrem Herzen eingegraben. Als sie ihm Lebewohl sagte, hatte sie eine seltsame Regung empfunden, und sie fragte sich, ob sie ihn nicht schon liebe. Ohne Zweifel widerstrebte es ihr, sich einzugestehen, welchen Eindruck ein Mann auf sie gemacht hatte, welcher sie vielleicht nicht einmal liebte, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß niemand es erfahren werde, und daß es kein Verbrechen sei, im geheimen das ganze Leben lang denjenigen zu lieben, der zum ersten- und letztenmal ihr Herz erregt hatte.
»Es mußte so sein, daß er nach Bogutscharowo kam, um mich zu befreien, es mußte sein, daß seine Schwester meinem Bruder absagte«, dachte sie. Sie sah den Finger Gottes in dieser Verkettung der Umstände und hegte dann ganz im Verborgenen die Hoffnung, daß dieses Glück, das sie kaum kennengelernt hatte, eines Tages Wirklichkeit werden könne.
Auch sie hatte einen milden Eindruck auf Rostow gemacht, und als seine Kameraden, welche von seinem Abenteuer Wind erhalten hatten, sich erlaubten, ihn ironisch zu beglückwünschen dafür, daß er nach Heu ausgeritten sei und dabei das Verständnis gehabt habe, eine der reichsten Erbinnen Rußlands zu entdecken, wurde er ernstlich zornig. Im Grunde seines Herzens aber gestand er sich, daß er nichts besseres wünschen könnte, als die sympathische Fürstin Marie zu heiraten. Diese Heirat konnte sein Glück und das seiner Eltern machen, und wie er unwillkürlich fühlte, auch das des sanften Wesens, das ihn seinen Retter nannte. Und andererseits hätte ihr großartiges Vermögen auch die Möglichkeit geboten, auch das Vermögen seines Vaters wiederherzustellen. Aber Sonja – der er sein Wort gegeben hatte? Die Erinnerung daran war es eben, was ihn so aufbrachte, wenn seine Kameraden über seinen Streifzug nach Bogutscharowo scherzten.
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Kutusow hatte das Oberkommando der Armee angenommen. Er erinnerte sich des Fürsten Andree und berief ihn ins Hauptquartier. An dem Tage, als Kutusow eine große Parade abhielt, kam Fürst Andree in Zarewo-Saimischtsche an. Er setzte sich vor dem Pfarrhause auf eine Bank und erwartete Seine Durchlaucht, wie man jetzt den Obergeneral nannte. Zwei Leute von der
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