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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Frauchen!« sagte er, »ich danke, mein Täubchen.«
    Dann zog er aus seiner Westentasche einige Goldstücke und legte sie auf das Tragbrett. »Geht es dir gut hier?« fragte er sie, indem er in das Zimmer trat, das für ihn vorbereitet worden war. Popadia folgte ihm lächelnd mit Grübchen auf dem errötenden Gesicht.
    Der Adjutant forderte den Fürsten Andree auf, mit ihm zu frühstücken. Eine halbe Stunde später ließ ihn Kutusow rufen. Andree fand ihn auf einem Lehnstuhl ausgestreckt, mit aufgeknöpfter Uniform und einen französischen Roman lesend: ›Die Schwanenritter‹, von Madame Genlis. »Setze dich!« sagte Kutusow, indem er das Buch beiseite legte. »Es ist sehr traurig! Sehr traurig! Aber erinnere dich, mein Freund, daß ich dein zweiter Vater bin.«
    Fürst Andree erzählte ihm von den letzten Augenblicken seines Vaters. »Wie weit ist es gekommen!« sagte plötzlich Kutusow. »Aber es wird anders werden!« rief er zornig. »Ich habe dich kommen lassen, um dich bei mir zu behalten«, sagte er nach kurzem Schweigen.
    »Ich danke Durchlaucht«, erwiderte Fürst Andree, »aber ich tauge nicht für den Dienst im Generalstab.«
    Kutusow sah ihn forschend an.
    »Und überdies«, fuhr Andree fort, »liebe ich mein Regiment und könnte mich nicht von ihm trennen. Wenn ich auf die Ehre verzichte, bei Ihrer Person zu bleiben, glauben Sie mir, daß ...«
    »Ich bedaure es, du wärest mir nützlich gewesen, aber du hast recht«, sagte Kutusow wohlwollend, mit etwas spöttischem Ton, »nicht hier sind Männer nötig. Wenn alle diese Ratgeber, wie du, in den Regimentern dienen möchten, so wäre es viel besser! Ich erinnere mich deines Benehmens bei Austerlitz, ich sehe dich noch mit der Fahne in der Hand.«
    Andree errötete in freudiger Erregung. Kutusow zog ihn an sich, umarmte ihn, und Andree konnte sehen, daß seine Augen feucht wurden. »Gehe, wohin dich Gott führen wird, ich weiß, es ist der Weg der Ehre! Du wärest mir in Bukarest sehr nützlich gewesen, da gab es auch Ratgeber, wie hier. Eine Festung nehmen, das ist nichts, aber einen Feldzug zum guten Ende führen, das ist die Schwierigkeit. Dazu genügt es nicht, nur zu stürmen und anzugreifen, man muß Geduld haben und die rechte Zeit abwarten. Kaminsky hat mit dreißigtausend Mann Festungen erstürmt, aber ich habe nur mit Zeit und Geduld mehr Festungen als er genommen und die Türken Pferdefleisch fressen lassen! ... Glaube mir«, sagte er, auf seine Brust schlagend, »die Franzosen werden's auch versuchen.«
    »Man wird aber doch eine Schlacht annehmen müssen«, sagte Fürst Andree.
    »Ja, ohne Zweifel, wenn es alle wollen, aber ich sage dir, es gibt keinen besseren Soldaten als die Zeit und die Geduld, diese erreichen alles! Aber die Ratgeber begreifen das nicht, das ist eben das Unglück. Adieu, mein Freund, wenn du etwas nötig hast, so komme zu mir!« Er umarmte ihn.
    Mit einem Seufzer ließ sich Kutusow in einen Lehnstuhl nieder und griff wieder zu seinem Roman. Diese Unterhaltung hatte auf Andree eine beruhigende Wirkung hervorgebracht. Er kehrte zuversichtlicher zu seinem Regiment zurück. Er wußte, daß dieser Greis nichts erfinden und nichts unternehmen, aber alles im rechten Augenblick benutzen und nichts Schädliches zulassen werde. Trotz des französischen Romans und der französischen Redensarten, die Kutusow anwandte, wußte Andree, daß ein echt russisches Herz in ihm schlug und seine Ernennung von der Nation mit einstimmigem Beifall aufgenommen worden war.

160
    Nach der Abreise des Kaisers nahm Moskau sein alltägliches Leben wieder auf und die Begeisterung der letzten Tage schien nur ein Traum gewesen zu sein. Inmitten des Schweigens, das nun folgte, schien niemand mehr an die Wirklichkeit der Gefahr zu glauben. Die Annäherung des Feindes machte die Moskauer nicht ernsthafter, sie sahen im Gegenteil ihre Situation mit wachsendem Leichtsinn an, wie es oft vor einer Katastrophe der Fall ist. Dann erheben sich in der Seele zwei Stimmen von gleicher Stärke, die eine predigt die Notwendigkeit, der bevorstehenden Gefahr ins Auge zu sehen und an Gegenmittel zu denken, die andere findet, es sei peinlich, daran zu denken, weil es dem Menschen nicht gegeben sei, dem Unvermeidlichen zu entgehen, und weil es daher einfacher sei, die Gefahr zu vergessen und vergnügt weiter zu leben bis zu dem Augenblick, wo sie eintritt. In der Einsamkeit hört man auf die erstere dieser Stimmen, die meisten aber gehorchen der zweiten, und die

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