Krieg und Frieden
Fürsten Andree und drückte ihn lange an seine breite Brust.
»Nun, komm zu mir! Wir wollen ein wenig sprechen«, sagte er.
In diesem Augenblick stieg Denissow, der in Gegenwart seiner Vorgesetzten ebenso kühn war wie vor dem Feind, entschlossen die Treppenstufen hinauf und trat auf Kutusow zu, ungeachtet der Einreden der Adjutanten, nannte seinen Namen und erklärte, er habe dem Durchlauchtigsten etwas von hoher Wichtigkeit für das Wohl des Vaterlandes vorzulegen.
Kutusow kreuzte mit verdrießlicher Miene seine Arme über der Brust und wiederholte: »Für das Wohl des Vaterlandes, sagst du? Was kann das sein? Sprich!«
Denissow errötete, aber er begann seinen Plan mit größtem Eifer zu entwickeln. Kutusow sah zur Erde und warf zuweilen einen Blick nach der gegenüberliegenden Hütte, als ob er von dort etwas Unangenehmes erwarte. Bald erschien daselbst ein General mit einer großen Mappe unter dem Arm und kam auf Kutusow zu.
»Was gibt's?« fragte Kutusow mitten in der Rede Denissows. »Schon fertig?«
»Ja, Durchlaucht«, erwiderte der General.
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort«, sagte Denissow, »daß ich die Verbindungslinie Napoleons unterbrechen werde.«
»Höre einmal«, fragte plötzlich Kutusow, »ist Ciril Denissow von der Intendantur ein Verwandter von dir?«
»Er ist mein Onkel«, erwiderte Denissow.
»Wir waren Freunde«, erwiderte Kutusow heiter. »Sehr gut, mein Freund, bleibe beim Generalstab, morgen werden wir weiter darüber sprechen.« Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und griff nach den Papieren, welche Konownizin gebracht hatte.
Ein Adjutant erschien auf der Schwelle mit der Nachricht, das Zimmer für den Oberkommandierenden sei bereit.
»Nein«, erwiderte dieser, »bringt mir hierher einen kleinen Tisch, und du da, gehe nicht fort!« wandte er sich an Fürst Andree. Während der General vom Dienst den Bericht machte, wurde das Rauschen eines seidenen Kleides hörbar. Fürst Andree erblickte eine junge, hübsche Frau in rosafarbigem Kleid mit einem seidenen Tuch um den Kopf, welche ein Tragbrett in der Hand hielt. Der Adjutant erklärte Fürst Andree leise, daß das die Frau des Priesters sei, der den Durchlauchtigsten schon mit dem Kreuz in der Hand empfangen habe, sie wolle ihn mit Salz und Brot willkommen heißen.
»Sie ist sehr hübsch«, bemerkte der Adjutant lächelnd.
Verwundert über diese Worte wandte sich Kutusow um.
Der Bericht des Generals enthielt hauptsächlich eine Kritik der neuen Stellung bei Zarewo-Saimischtsche. Kutusow hörte ihn ebenso zerstreut an wie vorhin Denissow und sieben Jahre früher am Abend vor der Schlacht bei Austerlitz im Kriegsrat. Er hörte nur, weil er Ohren hatte, welche auch ohne seinen Willen hörten. Man sah, daß ihn nichts wunderte oder interessierte, daß er voraus wußte, was man ihm erzählen konnte, und daß er alles geduldig anhörte, wie man ein Tedeum anhört. Was Denissow gesagt hatte, war klug und vernünftig gewesen, was der General vom Dienst ihm vortrug, war noch klüger und vernünftiger. Aber Kutusow verachtete das Wissen und die Klugheit, denn nach seiner Ansicht mußte etwas anderes die Entscheidung bringen. Fürst Andree beobachtete aufmerksam seine Miene, welche zuerst Langeweile, dann Neugierde bei dem Rauschen des Kleides ausdrückte und endlich den Wunsch, die Gebräuche zu beobachten. Er traf nur eine Verfügung in betreff der Plünderer. Der General vom Dienst reichte ihm zur Unterschrift einen Befehl an die Korpsgenerale, für die Kriegsschäden, die die Soldaten anrichten, Entschädigung zu zahlen, infolge der Klage eines Landbesitzers, dessen Haferfeld verwüstet worden war. »Ins Feuer! Ins Feuer damit!« rief Kutusow. »Ein für allemal, mein Freund, wirf alle Dummheiten ins Feuer! Man mag das Getreide schneiden, oder den Wald verbrennen, so viel man will! Ich werde es weder befehlen noch erlauben, aber es steht nicht in meiner Macht, es zu verhüten, noch die Leute zu entschädigen. Wenn man Balken zimmert, fliegen Späne!« Dann überflog er nochmals den Rapport. »Ach«, sagte er, »diese deutsche Kleinlichkeitskrämerei.«
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»Nun, das ist alles«, fügte er hinzu, nachdem er das letzte Papier unterzeichnet hatte. Dann erhob er sich und ging nach der Tür des Hauses.
Popadia, die Frau des Geistlichen, ergriff errötend und hastig das Tragbrett, auf welchem Salz und Brot lagen, und näherte sich Kutusow mit einer tiefen Verbeugung, der ihr dankte und das Kinn streichelte.
»Hübsches
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