Krieg und Frieden
gehalten und sich durch List aus der unangenehmen Lage befreien wollen, so hätte sie damit alles verdorben, weil sie sich dadurch schuldig bekannt hätte. Helene aber, als wirklich großer Geist, der alles kann, was er will, stellte sich in das Licht der Gerechtigkeit und alle anderen in das Licht der Schuld.
Das erstemal, als der junge Prinz ihr Vorwürfe machte, warf sie stolz ihren schönen Kopf auf, wandte sich halb ihm zu und sagte mit Entschiedenheit: »Das ist der Egoismus und die Grausamkeit der Männer! Ich habe nichts anderes erwartet! Das ist der Dank für eine Frau, die sich für Sie zum Opfer brachte und für Sie leidet! Welches Recht haben Sie, Hoheit, von mir Rechenschaft über meine freundschaftlichen Gefühle zu verlangen? Das ist ein Mann, der für mich mehr als Vater war.«
Der Prinz wollte etwas erwidern, aber Helene unterbrach ihn. »Nun ja«, sagte sie, »vielleicht sind die Gefühle, die er für mich hegt, nicht ganz väterlich, aber daraus folgt noch nicht, daß ich ihm mein Haus verbieten muß. Ich bin kein Mann, um mit Undank zu bezahlen! Sie müssen wissen, Hoheit, daß ich über meine Gefühle nur Gott und meinem Gewissen Rechenschaft gebe«, schloß sie. Dabei legte sie die Hand auf ihren wogenden, schönen Busen und blickte zum Himmel auf.
»Aber hören Sie mich, ich bitte Sie!«
»Heiraten Sie mich, dann bin ich Ihre Sklavin.«
»Aber das ist nicht möglich.«
»Sie wollen sich nicht zu einer Heirat mit mir herablassen, Sie ...«, sagte Helene weinend.
Der Prinz versuchte sie zu trösten.
Helene sagte unter Tränen, nichts könne sie abhalten, zu heiraten, dafür gebe es Beispiele – sie dachte an Napoleon und andere hohe Persönlichkeiten –, sie sei niemals die Frau ihres Mannes gewesen und nur aufgeopfert worden.
»Aber die Gesetze, die Religion«, sagte der Prinz schon einlenkend.
»Die Gesetze, die Religion! Wozu hat man diese denn erdacht, wenn Sie das nicht möglich machen können?« sagte Helene.
Der vornehme Herr war verwundert darüber, daß eine so einfache Idee ihm nicht in den Kopf kommen konnte, und wandte sich um Rat an die heiligen Brüder der Gesellschaft Jesu, mit denen er nahe bekannt war.
Einige Tage später gab Helene ein entzückendes Fest auf ihrer Villa bei Petersburg. Ein nicht mehr junger, entzückender Herr, Jobert, ein Jesuit im kurzen Gewände mit schneeweißem Haar und schwarzen, glänzenden Augen, wurde ihr vorgestellt. Er sprach im Garten beim Licht der Illumination und den Klängen der Musik lange mit Helene von der Liebe zu Gott, zu Christus, zum Herzen der Gottesmutter, sowie über die Tröstungen, welche die alleinseligmachende, katholische Religion für dieses und jenes Leben biete. Helene war gerührt, und Monsieur Jobert standen Tränen in den Augen. Am anderen Tag kam er abends allein zu Helene und seit dieser Zeit wiederholten sich seine Besuche sehr oft.
Eines Tages führte er die Gräfin in die katholische Kirche, wo sie vor dem Altar niederkniete, zu dem sie geführt wurde. Ein junger, entzückender Franzose legte ihr die Hände auf den Kopf, und wie sie selbst später erzählte, empfand sie dabei etwas wie einen frischen Luftzug, der in ihre Seele drang. Man sagte ihr, das sei die »Gnade«. Dann wurde ihr ein Abt in langem Kleide vorgestellt. Er hörte ihre Beichte und vergab ihr ihre Sünden. Am anderen Tage wurde ihr ein Kästchen gebracht, in dem sich das heilige Abendmahl befand, das nun in ihrem Hause blieb. Nach einigen Tagen erfuhr Helene zu ihrem Vergnügen, daß sie jetzt zu der alleinseligmachenden Kirche übergetreten sei, und daß in einigen Tagen der Papst selbst von ihr hören und ihr ein Papier zusenden werde.
Alles, was um diese Zeit bei ihr und mit ihr geschah, diese Aufmerksamkeit, welche von so vielen großen Leuten ihr gewidmet wurde und welche sich in so angenehmen, verfeinerten Formen äußerte, und die Taubenreinheit, in der sie sich jetzt befand (während dieser ganzen Zeit trug sie weiße Gewänder mit weißen Bändern) – alles das machte ihr großes Vergnügen. Aber sie verlor darüber keinen Augenblick ihr Ziel aus den Augen. Es ist oft zu beobachten, daß in bezug auf Schlauheit ein dummer Mensch klügere leitet. So hatte sie auch begriffen, daß der Zweck aller dieser Worte und Bemühungen hauptsächlich darin bestand, sie zur katholischen Religion zu bekehren und ihr Geld abzunehmen zum Besten jesuitischer Zwecke. Es hatte nie an Anspielungen dazu gefehlt, aber Helene bestand darauf, ehe sie
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