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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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verlassen? Haben Sie keine Niedergeschlagenheit bemerkt?«
    Michaud fand nicht sogleich eine Antwort.
    »Majestät, erlauben Sie mir, aufrichtig zu sprechen, wie ein ehrlicher Krieger?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.
    »Ich erwarte das! Verbergen Sie mir nichts, ich will durchaus die Wahrheit wissen.«
    »Majestät«, erwiderte Michaud mit feinem Lächeln, »ich habe die ganze Armee ohne Ausnahme in verzweifelter Angst verlassen.«
    »Wie das?« fragte der Kaiser mit strenger Miene. »Können meine Russen den Mut verlieren? Niemals!«
    Das hatte Michaud nur erwartet, um sein Wortspiel anzubringen.
    »Majestät«, sagte er, »sie fürchten nur eins – daß Eure Majestät in Ihrer Güte sich entschließen könnten, Frieden zu machen. Sie brennen vor Ungeduld, sich wieder zu schlagen und Eurer Majestät ihre Ergebenheit zu beweisen.«
    »Ah, Sie haben mich beruhigt, Oberst«, sagte der Kaiser, Michaud freundlich auf die Schulter klopfend. »Nun kehren Sie zur Armee zurück und sagen Sie meinen Tapferen und allen, die Sie sehen, wenn ich keinen Soldaten mehr habe, werde ich mich selbst an die Spitze meiner geliebten Adligen und guten Bauern stellen und kämpfen bis zur Erschöpfung der letzten Mittel meines Reiches. Aber wenn es von der göttlichen Vorsehung bestimmt sein sollte, daß unsere Dynastie zu herrschen aufhören sollte, so werde ich meinen Bart wachsen lassen und lieber eine Kartoffel mit dem letzten meiner Bauern essen, als einen schimpflichen Frieden zu unterzeichnen.«
    Der Kaiser wandte sich ab, um Michaud seine Tränen zu verbergen, denn nach einigen Augenblicken kam er mit großen Schritten wieder auf Michaud zu und drückte ihm den Arm unter dem Ellbogen. Seine Augen leuchteten in Entschlossenheit und Zorn.
    »Oberst Michaud, vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe! Napoleon oder ich! Wir beide können nicht mehr nebeneinander regieren. Das habe ich schon früher erkannt.«
    Michaud war in diesem feierlichen Augenblick entzückt von dem, was er hörte, wie er später sagte, und fühlte sich gedrungen, als Bevollmächtigter des russischen Volkes seine Gefühle in folgenden Ausdrücken auszusprechen: »Majestät unterschreiben in diesem Augenblick das Wohl Ihres Volkes und die Rettung Europas!«
    Der Kaiser neigte den Kopf und entließ Michaud.

209
    In Petersburg und in entfernteren Gouvernements beweinten Damen und Männer in Landsturmuniformen Rußland und die Residenz und sprachen von Selbstaufopferung und so weiter. Aber in der Armee, welche sich hinter Moskau zurückzog, dachte man fast nicht an Moskau und niemand schwur, seine Verbrennung an den Franzosen zu rächen. Man dachte nur an die Gagen, an Rasttage und Marketenderinnen.
    Auch Nikolai Rostow beobachtete ohne Verzweiflung die Vorgänge. Wenn man ihn gefragt hätte, was er über die jetzige Lage Rußlands denke, so würde er gesagt haben, darüber habe er nichts zu denken, dafür sei Kutusow und die anderen da, und man werde sich wahrscheinlich noch lange schlagen, und unter den jetzigen Umständen werde er wohl in zwei Jahren ein Regiment erhalten. Darum empfand er keine Betrübnis darüber, daß er zur Remonte nach Woronesch kommandiert worden war. Einige Tage vor der Schlacht bei Borodino hatte er Geld und Papiere erhalten und war mit Postpferden nach Woronesch gefahren. Er war freudig erregt, besonders beim Anblick von jungen Damen, die nicht von Dutzenden von Offizieren umschwärmt waren und sich geschmeichelt fühlten, wenn der durchreisende Offizier mit ihnen scherzte. In heiterster Stimmung kam Rostow in Woronesch im Gasthof an und fuhr am folgenden Morgen rein gekleidet und rasiert, in der besten Uniform, die er lange nicht mehr angelegt hatte, aus, um sich den Vorgesetzten vorzustellen.
    Der Vorsteher des Militärbezirks war ein alter Beamter, dem sein jetziger kriegerischer Beruf und Rang augenscheinlich großes Vergnügen gewährte. Von diesem fuhr Nikolai zum Gouverneur, einem kleinen, lebhaften, sehr freundlichen Herrn. Dieser gab Nikolai Andeutungen, wo er Pferde erhalten könne, empfahl ihm Pferdehändler und Gutsbesitzer auf zwanzig Werst im Umkreis und versprach seine freundliche Mitwirkung.
    »Sie sind ein Sohn vom Grafen Ilin Andrejewitsch? Meine Frau war sehr befreundet mit Ihrer Frau Mutter. Donnerstag ist bei uns Gesellschaft, heute ist gerade Donnerstag, und ich hoffe, Sie bei uns zu sehen.«
    Sogleich darauf nahm Nikolai ein Fahrzeug und fuhr mit seinem Wachtmeister in der Umgegend umher. Nachdem er einige

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