Krieg und Frieden
Nebenzimmer, welches die darin anwesenden Personen sogleich verließen, um die Exzellenz nicht zu stören.
»Weißt du, mein Lieber«, begann sie im ernsten Ton, »das wäre eine Partie für dich! Wenn du willst, so werde ich sie zustande bringen.« »Welche Partie, Tantchen?« fragte Nikolai.
»Mit der Fürstin. Willst du? Ich bin überzeugt, daß deine Mutter mir dafür dankbar sein wird. Und sie ist durchaus nicht so häßlich.«
»Durchaus nicht«, wiederholte Nikolai.
»Nun also, besinne dich! Das ist kein Spaß. Und noch etwas, mein Lieber, du machst der Blondine zu viel den Hof. Der Mann nimmt das übel.«
»Ach nein, wir sind ja Freunde«, sagte Nikolai. Er hatte keine Idee davon, daß dieser Zeitvertreib den Mann wenig belustigen könne.
»Nun, überlege dir die Sache«, sagte sie.
»Ich muß Ihnen sagen, Tantchen«, begann er, indem er sie zur Seite führte.
»Was gibt es, mein Lieber? Wir wollen uns hier setzen.«
Nikolai empfand plötzlich den Wunsch, alle seine verborgensten Gedanken, die er selbst seiner Mutter und Schwester verschwieg, dieser beinahe fremden Dame mitzuteilen. Als Nikolai sich später an diesen durch nichts hervorgerufenen Ausbruch von unerklärlicher Aufrichtigkeit erinnerte, schien es ihm, wie es den Leuten immer erscheint, daß das nur eine einfältige Anwandlung gewesen sei. Aber diese Aufrichtigkeit hatte mit anderen kleinen Ereignissen zusammen für ihn und seine ganze Familie wichtige Folgen.
»Nun sehen Sie, Tantchen, Mama will schon lange, ich soll eine reiche Partie machen, aber der Gedanke, nach Geld zu heiraten, ist mir widerlich.«
»O ja, ich verstehe«, sagte die Gouverneurin.
»Aber die Fürstin Bolkonsky, das ist etwas anderes! Ich gestehe Ihnen, daß sie mir sehr gefällt, und oft kommt mir der Gedanke in den Kopf, es sei eine Fügung des Schicksals gewesen, daß ich sie in dieser gefährlichen Lage treffen mußte. Bedenken Sie doch – Mama hat lange daran gedacht, aber wir haben uns nie getroffen, wie das so geht. Nun, zu derselben Zeit, als meine Schwester Natalie mit ihrem Bruder verlobt war, konnte ich nicht daran denken, sie zu heiraten, und nun mußte ich sie gerade damals treffen, als die Verlobung mit meiner Schwester aufgehoben war! Nun, und dann ... Das war's. Ich habe mit niemand darüber gesprochen, nur mit Ihnen.«
Die Gouverneurin drückte ihm dankbar den Arm.
»Sie kennen Sonja, meine Cousine? Ich liebe sie und habe versprochen, sie zu heiraten ... Deshalb sehen Sie, daß davon nicht die Rede sein kann«, schloß Nikolai verlegen und errötend.
»Aber was redest du da? Sonja hat nichts, und du hast selbst gesagt, die Umstände deines Vaters seien sehr schlecht, und deine Mutter! Das würde sie ins Grab bringen! Und wenn Sonja ein Mädchen mit Herz ist, welches Leben wird das für sie sein? Die Mutter in Verzweiflung, die Umstände zerrüttet. – Nein, mein Lieber, du und Sonja – ihr müßt das begreifen.« Nikolai schwieg. Es war ihm angenehm, diese Beweisführung anzuhören. »Aber dennoch, Tantchen, kann es nicht sein«, sagte er seufzend. »Und wird mich die Fürstin auch heiraten? Jetzt ist sie in Trauer, kann man jetzt daran denken?«
»Glaubst du denn, daß ich dich sofort verheiraten wolle? Alles muß seine Art haben«, sagte die Gouverneurin.
Nikolai küßte ihr dickes Händchen.
211
In Moskau traf die Fürstin Marie ihren Neffen mit einem Hauslehrer und einem Brief vom Fürsten Andree mit dem Auftrag, nach Woronesch zur Tante Malwinzew zu reisen. Die Reisevorbereitungen, die Sorge um den Bruder, die Einrichtung in einem neuen Hause, die neue Umgebung und die Erziehung des Neffen – das alles übertäubte im Herzen der Fürstin Marie das Gefühl, das während der Krankheit und nach dem Tode ihres Vaters und besonders nach der Begegnung mit Rostow sie beständig gequält hatte wie eine Versuchung. Sie fand sich in sehr gedrückter und sorgenvoller Stimmung. Als am Tage nach der Abendgesellschaft die Gouverneurin zu Maries Tante Malwinzew kam, und ihre Pläne bei dieser Dame günstige Aufnahme gefunden hatten, sprach sie mit der Fürstin Marie über Rostow, den sie sehr rühmte, und erzählte, wie er bei Erwähnung ihres Namens errötet sei. Marie empfand dabei aber kein freudiges Gefühl. Ihr innerer Gleichmut verschwand und wieder erhoben sich Wünsche, Zweifel, Vorwürfe und Hoffnungen.
Aber als am Sonntagvormittag der Diener im Salon den Grafen Rostow meldete, zeigte die Fürstin keine Verlegenheit, nur eine leichte
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