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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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stehenden Gläser hastig zurückstieß, daß er schlechter Laune war, wie es zuweilen vorkam, besonders vor der Suppe und wenn er gerade von Wirtschaftsgeschäften kam. Diese Stimmung kannte sie sehr gut, und gewöhnlich wartete sie, bis er die Suppe gegessen hatte, um dann mit ihm zu sprechen und ihn zu veranlassen, über den Grund seiner Mißstimmung sich auszusprechen. Sie hielt sich für unglücklich, weil er ohne Grund ärgerlich auf sie sei. Auf ihre Frage, wo er gewesen sei, antwortete er kurz; sie fragte, nochmals, ob alles in Ordnung sei, worauf seine Miene sich verfinsterte. Er war ärgerlich über ihren gelassenen Ton und antwortete rasch.
    »Ich habe mich nicht geirrt«, dachte die Gräfin Marie, »aber warum ist er ärgerlich auf mich?« In dem Tone seiner Antwort hatte sie Groll vernommen und den Wunsch, das Gespräch abzubrechen.
    Nach Tisch wurde das Gespräch bald allgemein und lebhaft, und die Gräfin Marie kam nicht dazu, mit ihrem Mann zu sprechen. Als man aufstand, fragte sie ihn, warum er ärgerlich sei.
    »Du hast ewig so sonderbare Gedanken! Ich denke nicht daran, ärgerlich zu sein«, erwiderte er, aber das Wörtchen »ewig« antwortete ihr: ja, ich bin ärgerlich und will es nicht sagen. Obgleich Nikolai mit seiner Frau so gut lebte, kamen doch Augenblicke des Zwistes vor. Oft erhob sich gerade nach den glücklichsten Perioden zwischen ihnen plötzlich ein Gefühl der Entfremdung und Feindseligkeit, und am häufigsten zu der Zeit, wenn Gräfin Marie, wie jetzt eben, sich in interessanten Umständen befand.
    »Nun, messieurs et mesdames«, sagte Nikolai laut mit scheinbarer Heiterkeit, die Marie dazu bestimmt glaubte, sie zu verletzen, »ich bin seit sechs Uhr auf den Beinen, morgen ist ein schwerer Tag, und deshalb muß man jetzt ausruhen!« Ohne ein Wort zu seiner Frau zu sagen, ging er in das kleine Diwanzimmer und legte sich auf den Diwan.
    »So ist es immer«, dachte Gräfin Marie, »mit allen spricht er, nur nicht mit mir! Ich sehe, ich sehe, daß ich ihm widerlich geworden bin, besonders in dieser Lage.« Alles wurde ihr unangenehm, das Lachen und laute Wesen Denissows, die Unterhaltung mit Natalie und besonders der Blick, den Sonja hastig nach ihr warf. Sonja war immer der erste Vorwand, den Gräfin Marie für ihre Reizbarkeit wählte. Sie vernahm nichts mehr von dem Gespräch, erhob sich leise und ging in das Kinderzimmer.
    Die Kinder fuhren auf Stühlen nach Moskau und luden sie ein, mitzufahren. Sie setzte sich, spielte mit ihnen, aber der Gedanke an ihren Mann und seinen grundlosen Verdruß verließ sie nicht. Sie stand auf und ging auf den Zehenspitzen nach dem kleinen Diwanzimmer zu. »Vielleicht schläft er nicht, und ich kann mich mit ihm aussprechen«, dachte sie. Andruscha, ihr Ältester, ging ihr auf den Zehenspitzen nach, ohne daß sie es bemerkte.
    »Marie, er schläft wahrscheinlich, er wird müde sein«, sagte Sonja, die, wie Marie sich sagte, ihr überall in den Weg kam. »Andruscha sollte ihn nicht aufwecken.«
    Als Marie sich umblickte und hinter sich den Kleinen sah, fand sie, daß Sonja recht hatte, aber eben deshalb fuhr sie ungeduldig auf und hielt mühsam harte Worte zurück. Sie sagte nichts, aber um ihr nicht zu gehorchen, machte sie Andruscha ein Zeichen mit der Hand, er solle kein Geräusch machen, und ging doch hinter ihr zur Tür. Aus dem Zimmer, in dem Nikolai schlief, vernahm sie ein gleichmäßiges, in jeder Klangstufe ihr wohlbekanntes Atmen, sie sah vor sich seine glatte, schöne Stirn, sein ganzes Gesicht, das sie in der Stille der Nacht, wenn er schlief, so oft und lange betrachtet hatte. Nikolai machte eine Bewegung, und in demselben Augenblick rief Andruscha zur Tür herein: »Papachen, dort steht Mama!«
    Die Gräfin erbleichte vor Schrecken und winkte ihrem Sohne. Er schwieg, und es folgte ein minutenlanges, für Marie peinliches Schweigen. Sie wußte, daß Nikolai nicht liebte, geweckt zu werden; plötzlich hörte man draußen neues Geräusch, und die unwillige Stimme Nikolais sagte: »Man hat keinen Augenblick Ruhe! Bist du das, Marie? Warum hast du ihn hereingeführt?«
    »Ich kam nur, um nachzusehen und habe ihn nicht bemerkt. Entschuldige!«
    Nikolai hustete und schwieg. Gräfin Marie trat zur Tür zurück und führte den Kleinen hinaus. Nach drei Minuten kam die kleine schwarzäugige Natalie, der Liebling des Vaters, hereingelaufen, da sie von ihrem Bruder erfahren hatte, daß Papa schlafe und Mama bei ihm sei. Die Kleine knarrte ungeniert

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