Krieg und Frieden
immer daran erinnern«, sagte er, auf seinen zerschlagenen Ring deutend. Von dieser Zeit an drehte er diesen Ring am Finger, wenn ihm das Blut ins Gesicht stürzte, und schlug die Augen nieder vor dem Menschen, der ihn gereizt hatte. Ein- oder zweimal im Jahr vergaß er sich aber, und dann kam er zu seiner Frau und versprach wieder, das werde das letztemal sein.
Beim Adel des Gouvernements war Nikolai geachtet, aber nicht beliebt, da er an den Interessen des Adels nicht teilnahm. Im Sommer widmete er sich ganz der Wirtschaft und im Herbst ging er auf die Jagd, im Winter besuchte er Nachbarn und beschäftigte sich viel mit Lesen. Hauptsächlich las er historische Werke. Auch den Winter verbrachte er mit Ausnahme kleiner Reisen in Geschäften meist zu Hause und entdeckte mit jedem Jahr neue geistige Schätze an seiner Frau.
Sonja lebte seit Nikolais Verheiratung in seinem Hause. Noch vor der Hochzeit hatte er unter Selbstvorwürfen seiner Frau alles erzählt, was zwischen ihm und Sonja vorgegangen war, und bat die Fürstin Marie, freundlich und gut gegen seine Cousine zu sein. Die Gräfin Marie erkannte wohl die Schuld ihres Mannes gegen Sonja und glaubte, ihr Vermögen habe Einfluß auf Nikolais Wahl gehabt. Sie wünschte Sonja zu lieben, aber das gelang ihr nicht und oft fand sie in ihrem Innern feindliche Gefühle gegen sie, die sie nicht unterdrücken konnte.
Einmal sprach sie mit ihrer Freundin Natalie über Sonja und über ihre Ungerechtigkeit gegen sie.
»Weißt du«, sagte Natalie, »du hast so viel im Evangelium gelesen, dort ist eine Stelle, die auf Sonja paßt.«
»Welche?« fragte die Gräfin Marie verwundert.
»Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch genommen, was er hat! Erinnerst du dich? Sie – hat nicht, warum, das weiß ich nicht, in ihr liegt kein Egoismus, aber ihr wird auch genommen, was sie hat. Zuweilen tut sie mir schrecklich leid, und ich habe früher sehr gewünscht, daß Nikolai sie heirate, aber immer hatte ich ein Vorgefühl, daß es nicht dazu kommen werde. Sie ist eine taube Blüte. Zuweilen bedauere ich sie, zuweilen aber denke ich, daß sie das nicht so fühlt, wie wir es fühlen würden.«
Es schien wirklich, daß Sonja sich von ihrer Lage nicht gedrückt fühlte und sich ganz mit ihrem Beruf einer tauben Blüte ausgesöhnt habe. Sie schien weniger die einzelnen Mitglieder als die ganze Familie zu schätzen, und wie eine Hauskatze schmiegte sie sich weniger an die Hausbewohner als an das Haus. Sie pflegte die alte Gräfin, spielte mit den Kindern und verwöhnte sie und war immer zu kleinen Diensten bereit, deren sie fähig war. Aber das alles wurde unwillkürlich mit zu schwacher Dankbarkeit aufgenommen.
Viele Verwandte kamen nach Lysy Gory mit ihren Familien zu Besuch, zuweilen mit sechzehn Pferden, mit Dutzenden von Dienern auf Monate lang. Außerdem versammelten sich viermal im Jahre an den Namens- und Geburtstagen der Herrschaft gegen hundert Gäste auf einen oder zwei Tage.
5
Es war am Vorabend von Nikolais Namenstag, am 5. Dezember 1820. Natalie war mit ihren Kindern und ihrem Mann seit dem Herbst bei ihrem Bruder zu Gast. Peter war auf drei Wochen in Geschäften nach Petersburg gefahren, wie er sagte, und schon sieben Wochen ausgeblieben und wurde jeden Tag erwartet. Am 5. Dezember war auch noch ein alter Freund Nikolais, der verabschiedete General Denissow, angekommen. Am folgenden Tage, dem Feiertag, wußte Nikolai, daß er seine Hausjacke ablegen, einen Rock und enge Stiefel anziehen und in die von ihm neugebaute Kirche fahren mußte, daß er dann die Glückwünsche entgegennehmen, alle zum Frühstück einladen und von den Adelswahlen und der Ernte sprechen mußte. Aber am Vorabend des Feiertags hielt er sich noch für berechtigt, in gewöhnlicher Weise zu leben. Bis zum Mittagessen war er mit dem Verwalter aus dem Räsanschen Gut seines Neffen bei den Abrechnungen beschäftigt, dann schrieb er Geschäftsbriefe und ging in die Ställe. Nachdem er Maßregeln gegen die am folgenden Tag zu erwartende allgemeine Trunkenheit getroffen hatte, kam er zu Tisch, an dem sich alle Hausbewohner versammelten, seine Mutter sowie eine alte Dame namens Bjelow, die bei ihr wohnte, seine Frau mit drei Kindern und deren Gouvernante und der alte Architekt Michail Iwanowitsch.
Gräfin Marie saß ihm gegenüber am anderen Ende des Tisches. Sobald ihr Mann seinen Platz einnahm, erkannte Gräfin Marie an der Art, wie er seine Serviette ausbreitete und die vor ihm
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