Krieg und Frieden
Vergangenheit zu bedauern. Wie ich Ihr Leben jetzt verstehe, werden Sie sich immer mit Befriedigung der Vergangenheit erinnern, weil die Selbstverleugnung, die Sie jetzt ...«
»Ich nehme Ihr Lob nicht an«, unterbrach er sie hastig, »im Gegenteil, ich mache mir immer Vorwürfe. Aber das ist durchaus kein interessantes und kein heiteres Gespräch.«
Wieder nahm sein Blick den früheren kalten, abweisenden Ausdruck an, aber die Fürstin hatte in ihm schon jenen Mann wiedergesehen, den sie gekannt und geliebt hatte, und sprach jetzt nur mit jenem Manne.
»Ich dachte, Sie werden mir erlauben, Ihnen das zu sagen. Ich stehe Ihnen ... Ihrer Familie so nahe und dachte, Sie werden meine Teilnahme nicht unpassend finden, aber ich habe mich geirrt!« Ihre Stimme begann zu zittern. – »Ich weiß nicht warum«, fuhr sie fort – »früher waren Sie anders, und ...«
»Es gibt tausend Gründe für dieses Warum. Ich danke Ihnen, Fürstin!« sagte er leise. »Zuweilen ist es schwer ...«
»Das ist's! Das ist's!« sprach eine innere Stimme in Marie. »Nein, ich habe nicht nur diesen guten, heiteren, offenen Blick, nicht nur sein schönes Äußere an ihm geliebt, ich hatte seine edle, starke Seele erkannt«, sagte sie zu sich selbst. »Jetzt ist er arm, ich aber bin reich, das ist's allein. Wenn das nicht wäre ...« Als sie sich seiner früheren Zärtlichkeit erinnerte und jetzt in sein gutes, kummervolles Gesicht blickte, begriff sie ganz den Grund seiner Kälte.
»Warum das, Graf? Warum?« rief sie plötzlich fast laut und trat ihm unwillkürlich näher. »Warum? Sagen Sie mir! Sie müssen es sagen«!
Er schwieg.
»Ich kenne nicht Ihr Warum«, fuhr sie fort, »aber es ist mir schwer zumute, das gestehe ich Ihnen. Sie wollen mich Ihrer früheren Freundschaft berauben und das schmerzt mich!« In ihren Augen und in ihrer Stimme waren Tränen. »Ich hatte so wenig Glück im Leben, daß mich jeder Verlust betrübt! ... Entschuldigen Sie, verzeihen Sie mir!« Sie brach in Tränen aus und wollte das Zimmer verlassen.
»Fürstin, ich bitte Sie!« rief er und suchte sie zurückzuhalten, »Fürstin!«
Sie blickte sich um, einige Augenblicke sahen sie einander schweigend in die Augen, und was fern und unmöglich gewesen war, wurde plötzlich nahe, möglich und unvermeidlich – – – –
3
Im Herbst 1814 heiratete Nikolai die Fürstin Marie und zog mit seiner Frau, seiner Mutter und Sonja nach Lysy Gory. Nach drei Jahren hatte er, ohne von den Gütern seiner Frau etwas zu verkaufen, den Rest der Schulden bezahlt, und als er eine kleine Erbschaft von einem entfernten Verwandten erhielt, bezahlte er auch an Peter seine Schuld.
Nach weiteren drei Jahren hatte Nikolai seine Geldangelegenheiten so geordnet, daß er ein kleines Gut neben Lysy Gory kaufen konnte und über den Rückkauf des väterlichen Gutes Otradno verhandeln konnte. Bald widmete er sich mit großem Eifer der Landwirtschaft und sie war fast seine ausschließliche Beschäftigung. Er war ein einfacher Wirt, liebte keine Neuerungen, am wenigsten die englischen, welche damals in Mode kamen, lachte über theoretische Werke über die Landwirtschaft; von Fabriken, von teuren Anlagen hielt er nichts und kümmerte sich nicht um den Stickstoff und den Sauerstoff, welcher sich in der Ackerkrume und in der Luft befinden, und nicht um neuerfundene Pflüge und dergleichen, sondern um jenes wichtige Werkzeug, durch welches Stickstoff und Sauerstoff und der Pflug zur Wirksamkeit gelangen, um den Bauern. Er beobachtete den bäuerlichen Arbeiter und suchte zu erkennen, was der Bauer bedürfe, was er für böse und gut hielt, und erst dann, als er den Geschmack und die Bestrebungen des Bauern begriffen hatte, als er nach seiner Redeweise zu sprechen und den geheimen Sinn seiner Rede zu begreifen gelernt hatte, als er sich mit ihm eins fühlte, erst dann begann er mit Zuversicht zu regieren, das heißt, in seinem Verhältnis zum Bauern dieselbe Pflicht zu erfüllen, deren Erfüllung er von dem Bauern verlangte, und die Wirtschaft Nikolais brachte glänzende Resultate. Nur bei wenigen Gutsherren wurden die Felder so früh besät und gaben so reiche Ernten wie bei Nikolai. Mit dem leibeigenen Hofgesinde hatte er nicht gern zu tun und nannte es unnütze Esser. Wenn er über diese etwas zu verfügen hatte, besonders wenn er strafen mußte, war er unschlüssig und beriet sich mit allen im Hause. Nur wenn es möglich war, anstatt eines Bauern einen Menschen vom Hofgesinde als Rekruten
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