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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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uns in unserer Einsamkeit macht sich der Krieg bemerkbar. Vorgestern abend habe ich auf meinem gewöhnlichen Spaziergange eine herzzerreißende Szene erlebt. Es war eine Abteilung Rekruten, die bei uns ausgehoben worden waren und zur Armee abgesandt werden sollten. Man mußte sehen, in welchem Zustand sich die Mütter, Frauen und Kinder derjenigen befanden, welche abgingen. Man mußte ihr Weinen und Jammern hören! Man glaubt, die Menschen haben die Gesetze ihres göttlichen Erlösers vergessen. Nun leben Sie wohl, liebste, teuerste Freundin, unser göttlicher Erlöser und seine allerheiligste Mutter nehme Sie unter ihren heiligen, mächtigen Schutz!
    Marie.«
     
    »Ah, Sie schrieben einen Brief. Ich habe soeben auch einen abgesandt an meine arme Mutter«, sagte Mademoiselle Bourienne mit angenehmer Stimme, indem sie das »r« schnurren ließ und in die kummervolle, düstere Atmosphäre der Fürstin Marie eine ganz andere, heitere, hellere Welt trug. »Fürstin, ich muß Ihnen sagen«, fügte sie leise hinzu, »daß der Fürst Michail Iwanowitsch ausgescholten hat. Er ist bei sehr schlimmer Laune, das mußte ich Ihnen mitteilen.«
    »Ach, liebe Freundin«, erwiderte Fürstin Marie, »ich habe Sie gebeten, niemals davon zu sprechen, in welcher Stimmung sich mein Vater befindet. Ich erlaube mir nicht, darüber zu urteilen und wünsche auch nicht, daß andere darüber urteilen.«
    Die Fürstin blickte nach der Uhr und als sie bemerkte, daß es schon seit fünf Minuten Zeit sei, sich ans Clavichord zu begeben, ging sie mit erschrecktem Gesicht in den Salon. Zufolge der eingeführten Tagesordnung ruhte der Fürst zwischen zwölf und zwei Uhr, während die Fürstin auf dem Clavichord spielte.

23
    Ein grauköpfiger Kammerdiener saß im Halbschlummer in dem großen Kabinett und lauschte auf das Schnarchen des Fürsten. Von ferne hörte man eine zwanzigmal wiederholte schwierige Stelle aus einer Sonate von Dussek.
    In diesem Augenblick fuhr ein Wagen vor dem Hause vor. Fürst Andree stieg aus und hob seine kleine Frau heraus. Der grauköpfige Tichon kam aus dem Vorsaal heraus, meldete flüsternd, der Fürst sei eingeschlafen und öffnete die Tür. Er wußte, daß auch die Ankunft des Sohnes die Tagesordnung nicht stören durfte. Auch Fürst Andree schien das zu wissen. Er blickte nach der Uhr und überzeugte sich, daß die Lebensgewohnheiten des Vaters sich nicht geändert hatten.
    »In zwanzig Minuten steht er auf«, sagte er zu seiner Frau, »wir wollen zur Fürstin Marie gehen.«
    »Also das ist das Schloß«, sagte sie zu ihrem Manne, indem sie sich umblickte. Sie lächelte Tichon und dem Diener zu, der ihnen voranging. »Hörst du, wie Marie sich abmüht? Wir wollen leise gehen, um sie nicht zu stören«, sagte der Fürst. Aus dem Zimmer, in welchem das Clavichord ertönte, kam eilig aus einer Seitentür die hübsche Französin, Mademoiselle Bourienne, heraus, wie es schien, im höchsten Entzücken.
    »Ach, welche Freude für die Fürstin!« sagte sie endlich, »ich muß sie benachrichtigen.«
    »Nein, nein«, erwiderte die Fürstin, indem sie sie küßte. »Sie sind Fräulein Bourienne, ich kenne Sie bereits und weiß, welche Freundschaft meine Schwägerin für Sie hegt.
    Sie traten in den Salon, aus welchem immer wieder und wieder jene Stelle ertönte. Fürst Andree blieb stehen und sein Gesicht verfinsterte sich, als ob er etwas Unangenehmes erwartete. Die Fürstin trat ein. Das Clavichordspiel brach in der Mitte ab, man hörte einen Ausruf und die schweren Schritte Maries. Als der Fürst Andree eintrat, hielten sich die beiden Schwägerinnen umfaßt und küßten sich gegenseitig herzlich. Fräulein Bourienne stand bei ihnen und drückte mit entzücktem Lächeln die Hände aufs Herz. Zum Erstaunen des Fürsten Andree brachen beide in Tränen aus und küßten sich wieder. Auch Fräulein Bourienne begann zu weinen, und dem Fürsten Andree wurde es augenscheinlich unbehaglich zumute.
    »Ach, meine Liebe! Ach, Marie!« riefen plötzlich beide Damen lachend. »Ich habe dich im Traum gesehen! Ihr habt uns nicht erwartet? Ach, Marie, du bist so abgemagert!«
    »Und du bist so voll geworden!«
    »Ich hatte keine Ahnung!« rief Marie. »Ach, Andree, wie lange habe ich dich nicht gesehen!« Sie umarmten sich, und sie richtete durch Tränen den liebevollen, innigen, milden Blick ihrer strahlenden Augen auf das Gesicht ihres Bruders. Die Fürstin sprach ohne Aufhören. Sie erzählte einen Zwischenfall, der ihnen unterwegs

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