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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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wir in Kapitel 2 gelernt haben, gewannen Buddhismus, Konfuzianismus, Stoizismus und Christentum mit ihren Botschaften der Gewaltlosigkeit ihre Anhänger erst dann in Massen, als die Eroberungskriege, die die Han-Dynastie, das Maurya-Reich und das Römische Reich hervorbrachten, ihren Höhepunkt überschritten hatten. Und auch das Zeitalter der Empathie und des Rationalismus im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts zog erst auf, als die schlimmsten Phasen des Fünfhundertjährigen Kriegs vorüber waren. Solche Geistesströmungen rechtfertigten und erklärten Welten, die längst durch Leviathane sicherer gemacht worden waren, statt aus sich selbst heraus Frieden zu stiften. Und wie wir in Kapitel 3 gesehen haben, hat beim Zusammenbruch des Leviathans im 1. Jahrhundert und dem nachfolgenden Wiederaufflammen der Gewalt kein philosophisches System die Ereignisse aufhalten können.
    Die Verweiblichung ist sogar noch eindeutiger nicht Ursache, sondern Folge des Niedergangs von Gewalt. Zu Zeiten der Antike spielten Frauen kaum eine Rolle, und bis zum 19. oder gar 20. Jahrhundert ist ihr Einfluss nur schwer auszumachen. Zu dieser Zeit aber hatte der Leviathan die Sterbeziffern für einen gewaltsamen Tod bereits auf einen historischen Tiefststand sinken lassen. Vielleicht fällt erst dann, wenn Gesellschaften so befriedet wurden, dass nur noch zwei Prozent aller Todesfälle gewaltbedingt sind, Frauen genügend Macht zu, um männlicher Aggression etwas entgegensetzen zu können. Vor 1750 oder 1800 war das niemals auf Dauer der Fall. In dem Augenblick aber, in dem dieses Niveau in Europa und einigen seiner Ableger erreicht wurde, finden wir Anzeichen der Verweiblichung.
    Anhand der Prämien, die Pinker in seinem Pazifistendilemma (fünf Pluspunkte für jeden Spieler, der friedfertig handelt, zehn für den Sieg in einem Kampf, hundert Minuspunkte für die Niederlage und minus fünfzig für alle, wenn beide Seiten sich auf einen Kampf einlassen) festlegt, möchte ich nun einen Blick darauf werfen, wie das Spiel ausgehen könnte. Die Strafe von 15 Minuspunkten, die der Leviathan Aggressoren auferlegt, macht Kooperation zur besten Alternative. Die Folge ist, dass ein produktiver Krieg die Gewalt senkt, und im Zuge dessen kommen die vier anderen von Pinker eingeführten Faktoren ins Spiel und wirken als Multiplikatoren.Zunächst einmal begünstigt der Frieden den Handel (in einigen der antiken Reiche um 200 v.   Chr. und im modernen Europa um 1700 war das eindeutig der Fall). Der Bonus von hundert Punkten allerdings, den Pinker dem Handel zugesteht, kommt mir in Anbetracht dessen, was wir darüber in den meisten Epochen der Geschichte wissen, zu optimistisch vor. Aber sogar magere zehn Punkte würden friedlich Handel treibenden Gesellschaften eine Prämie von 15 Punkten einbringen, sehr viel mehr also als die nächstbeste Option von fünf Minuspunkten (für einen Sieg und die anschließende Bestrafung durch den Leviathan). Pinker verzichtet auf eine Belohnung von Vernunft, gesteht Friedensstiftern aber einen Empathiebonus von fünf Punkten zu. Teilen wir diese fünf Punkte zwischen Vernunft und Empathie auf, beläuft sich der Lohn für Friedfertigkeit auf zwanzig Prozent, und wenn die Sterbeziffern für gewaltsame Todesfälle wirklich gering werden, wie es um 1800 in Europa der Fall war, kommt die Verweiblichung zum Zuge und macht Gewalt noch unattraktiver.
    Alles hängt davon ab, dass der Leviathan stark genug ist, seine eigenen Untertanen nicht nur zu strafen, sondern auch zu schützen, denn natürlich ist das Spiel des Todes, das der Leviathan mit seinen Untertanen spielt, mit den anderen Spielen verflochten, die der Leviathan mit seinen Nachbarn spielt. Ein Leviathan, der produktive Kriege gewinnt und jedes Mal zehn Pluspunkte einheimst, wird seine Nachbarschaft letztlich dominieren und seine vormaligen Gegner schlucken. Er wird zu so etwas wie dem Römischen Reich werden, innerhalb dessen Handel, Empathie und Ähnliches in sehr viel größerem Umfang blühen; vielleicht wird aus ihm gar ein Globocop.
    Die Wirklichkeit ist freilich chaotischer als ein so vereinfachendes Spiel wie das Pazifistendilemma. Ende des 19. Jahrhunderts geriet der damalige Weltpolizist, wie wir in Kapitel 5 gesehen haben, in unvorhergesehene Rückkopplungsprobleme, als seine Erfolge bei der Unterhaltung eines internationalen Systems jedermann reicher machten und so den Nährboden für neue industrielle Revolutionen und Rivalen schufen, die die

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