Krieger der Stille
Ranti. Sie tanzt lachend weiter, dreht sich wie ein Kreisel, und ihre Schleier verwandeln sich in den blauen Stoff eines Mantels, dessen Kapuze von ihrem Kopf gleitet und das grüne zerklüftete Gesicht mit den gelben Augen des Konnetabels Pamynx enthüllt. Alle Gäste sind entsetzt, aber sie können nicht reagieren, ihr Willen ist gelähmt. Und niemand hat den Mut zu fliehen.
Der Konnetabel mustert sie einen nach dem anderen und befiehlt die Kinder des Herrscherehepaars zu sich. Die Pritiv-Söldner bringen sie herbei. Die drei Kinder – zwei Jungen und ein Mädchen – stehen in einer Reihe vor der festlichen Tafel. Plötzlich stürzen die beiden Knaben, schlagen im Fallen ihre kleinen Köpfe am Tischrand auf, und Blut befleckt das weiße bestickte Tuch. Seigneur Ranti steht auf und protestiert vehement gegen die Hinrichtung seiner Söhne, die Träger seines Namens und die
Garanten für die Fortführung der Tradition. Dann wird er bleich, windet sich vor Schmerzen und bricht auf dem Marmorboden zusammen. Ungerührt betrachtet der Konnetabel den sich vor ihm Windenden, bis er ihn schließlich seinem Schicksal überlässt – gleich einem Kind, das seines Spielzeugs überdrüssig geworden ist.
Alle Gäste erleiden dieselben Qualen, ihre Leichen liegen auf den Fluren. Aus allen Ecken tauchen scaythische Gedankenschützer auf und legen ihre Kapuzenmäntel ab. Sie sind nackt; sie sehen grotesk aus. Grüne, braune, gelbe, schwarze asexuelle Körper – Karikaturen menschlicher Wesen. Dann beugen sie sich über die Leichen, öffnen ihre Münder und reißen Fleischfetzen aus den Leibern. Sie verschlingen schmatzend die inneren Organe …
Nur Dame Sibrit und ihre Tochter stehen noch vor dem Konnetabel. Ein fürchterlicher Schmerz durchbohrt ihr Gehirn; sie weiß, dass sie sterben wird.
Die Gesichtszüge des Konnetabels verzerren sich, verschwinden. Unter der blauen Kapuze erscheint das eckige Gesicht ihres Schwagers Menati. Dame Sibrit kann ihn wegen seiner Brutalität nicht ausstehen. Menati öffnet ebenfalls den Mund, und zwei Reihen spitzer bluttriefender Zähne sind zu sehen, die er in das weiche Fleisch ihres Halses bohrt … Sie schreit vor Schmerz und Entsetzen auf, aber er lässt nicht los. Da merkt sie, dass sie diese animalische Gewalt liebt, dass sie die Welt verlässt, ohne jemals Frau gewesen zu sein …
Sie hatte wütend ihre seidenen Betttücher zerwühlt und war dann, von Panik ergriffen, erwacht, schweißüberströmt und die Finger in ihren Hals gekrallt.
Den Tod fürchtete sie nicht. Im Gegenteil, wie oft schon hatte sie ihn seit ihrer Vermählung mit dem Seigneur Ranti
Ang herbeigesehnt! Ständig war sie von diesen gepuderten, eitlen, neidischen Hofschranzen umgeben, Beratern, Botschaftern, Bankiers, Künstlern – allen möglichen Parasiten. Und nichts als öffentliche Demütigungen hatte sie ertragen müssen! Dreiste Blicke unter dem Schleier der Scheinheiligkeit, die vornehmerweise Emotionskontrolle oder Autopsychische Verteidigung genannt wurde. Die Realität des höfischen Lebens hatte sich für sie als bittere Enttäuschung erwiesen, seit sie als junge naive Frau, aus einer entfernt gelegenen Südprovinz stammend, den Versprechen Ranti Angs geglaubt hatte.
Die täglichen Darbietungen am Hofe ekelten sie inzwischen nur noch an. Sogar die Pantomime – die sie selbst früher auf respektablem Niveau praktiziert hatte – ließ sie jetzt kalt. Die alymphonische Musik, die emotionalen Gesänge, das bullovisuelle Theater und die Ballettaufführungen des medianischen Zeitalters, das alles ödete sie an.
Dame Sibrit, deren Schönheit einst von Künstlern gefeiert und verewigt worden war; sie, die unbedeutende junge Frau aus der Provinz, die mit Achtung und Begeisterung als Königin akzeptiert wurde, welkte langsam dahin. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen die Etikette aufzulehnen, oder auch nur einen geistigen Zufluchtsort zu suchen. Also verharrte sie in dem Gefängnis, einem Gefängnis, das einzig und allein aus Verpflichtungen bestand. Ausgerechnet sie, die in ihrer Jugend Hymnen an die Freiheit gesungen hatte … Sie, die die meiste Zeit damit verbracht hatte, auf dem Rücken eines wilden gehörnten Schigalins das weite Steppenland im Besitz ihres Vaters, des berühmtem Alloïst de Ma-Jahi, der ein enger Freund des Seigneurs Arghetti Ang war, zu durchstreifen …
Sie war es müde, als Zielscheibe oder Trumpfkarte im
hinterhältigen höfischen Machtspiel missbraucht zu
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