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Krieger der Stille

Krieger der Stille

Titel: Krieger der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
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oder in den unteren Bereichen Häuser aus polierten Lavasteinen errichtet. So glich Exod einem immens großen Amphitheater, mit stufenförmig ansteigenden Wohnungen, in dessen Mitte sich ein runder Platz befand, der Platz der Totengesänge.
    Das »Hexenloch« endete in einem Überhang, der die gesamte, jetzt im Dämmerlicht daliegende Stadt dominierte.
Von dort aus führten Seitengänge, Rampen und Treppen zu den Domizilen der Höhlenbewohner und hinunter bis auf den Platz der Totengesänge. Shari sah, dass der Platz von großen bläulich leuchtenden Fackeln erhellt war, während die Häuser und Gassen im Dunkeln lagen.
    Ältere Stadtbewohner hatten sich auf dem Platz um das Opferfeuer versammelt, das immer angezündet wurde, wenn eine öffentliche Strafe verhängt worden war. Die Flammen beleuchteten die ersten Ränge und auch zwei rote Pfähle in der Mitte des heiligen Kreises. Zwei Personen waren dort angebunden. Aus der Höhe betrachtet sahen sie wie zwei gelbe, an ein Stück Holz genagelte Nacktschnecken aus. An den vier Himmelsrichtungen des Kreises standen vier Amphanen, in die traditionellen orangefarbenen Gewänder der Sänger gekleidet.
    Shari hatte noch nie eine öffentliche Bestrafung gesehen. Von Neugier getrieben, lief er eine enge Treppe hinunter, überquerte mit ein paar Schritten den Rundweg und rannte eine der sternförmig nach unten führenden Straßen hinunter. Eine unerklärliche Angst ergriff ihn und wurde immer größer, je näher er dem Platz kam. Das Echo seiner Schritte hallte in der unheilschwangeren Stille wider. Er verlangsamte seinen Lauf, ging jetzt auf den Zehenspitzen, dicht an die Mauern gedrängt, wo bereits Nacht herrschte.
    Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, und seine anfängliche Neugier war großer Angst vor dem, was er sehen würde, gewichen. Er hoffte, so schnell wie möglich seine Mutter unter den Anwesenden zu finden, denn sie allein konnte ihm seine Angst nehmen.
    Er betrat den Platz und einige Leute auf den ersten Rängen wandten ihm ihre Gesichter zu. Ihre Mienen waren
finster. Fast alle hatten ihre Festgewänder angelegt, die sie sonst nur an Feiertagen oder während ritueller Zeremonien trugen: reich verzierte Togen mit dazu passenden Hosen, runde Bärenfellmützen, pastellfarbene, weit geschnittene Roben, Gürtel und Schmuck aus Salzkristall …
    Shari fiel auf, dass die Leute sich in aller Eile angekleidet haben mussten, denn sie hatten sich nicht mit der für solche Gelegenheiten nötigen Sorgfalt zurechtgemacht. Die Kinder waren nicht gewaschen worden, ihre aufgeregten Gesichter waren schwarz verschmiert, und ihre schmutzigen Hände bildeten einen seltsamen Kontrast zu ihren blütenweißen Hemden und Lendenschurzen. Shari fiel ebenfalls auf, dass die Frauen ihn mitleidig ansahen, während ihm die Männer verstohlen einige böse und hasserfüllte Blicke zuwarfen.
    Mit wachsender Besorgnis umrundete er den Platz auf der Suche nach seiner Mutter. Ein leises Murmeln ging durch die Menge, schwoll an, so wie sich ein leichter Wind erhebt, und wurde von einem alten Amphanen mit einem herrischen Befehl zum Schweigen gebracht.
    Shari schwang sich auf eine große, nicht brennende Fackel, die in den eingemauerten Ringen eines Hauses am Rand des Platzes steckte. Die Nacht streckte ihre schwarze Hand über den Krater aus. Ein runder Ausschnitt des sternenübersäten Himmels war über die Stadt gespannt. Der Abendwind fachte mit seinen plötzlichen Böen das Opferfeuer zu wild auflodernden Flammen an.
    Jetzt endlich erkannte Shari seine Mutter, sah ihr Gesicht. Fast wäre er vor Entsetzen von seinem Sitz gestürzt. Eiskalte Schauder liefen über seinen Körper.
    Seine Mutter war es, die sie an den roten Pfahl gebunden hatten. Sie war es, die sie in ein grobes gelbes Büßergewand
gesteckt hatten. Ihren Kopf hatten sie so grob rasiert, dass Blut über ihre Stirn und ihre Wangen lief. Sie war es, deren Augen vor Grauen weit geöffnet waren und die vergeblich versuchte, sich aus den Hand- und Fußfesseln zu befreien, die tief in ihr Fleisch schnitten.
    An den zweiten Pfahl gebunden und ihr den Rücken zukehrend, stand ein Mann. Natürlich hatte man auch ihm den Kopf geschoren. Shari erkannte ihn wieder. Das war der freundliche Mann, der seine Mutter oft zu besuchen pflegte und sie dann mit glänzenden Augen ansah. Jedes Mal, wenn er das Haus der Rampoulines betrat, begrüßte er den Jungen mit einem freundschaftlichen Klaps, setzte sich und unterhielt sich mit seiner

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