Krieger der Stille
öffnen, er würde das unübertroffene Transportmittel sein …
Schweren Herzens und mit tränenüberströmtem Gesicht stand der Knabe auf, tupfte sich mit einem Zipfel seines Lendenschurzes das Gesicht ab und wandte sich widerstrebend zum Gehen.
Plötzlich durchschnitt eine tiefe Stimme die Stille.
»Du hast einen sehr schönen Stein gewählt, Kind! Den schönsten! Und die Beherrschung der Schönheit fordert große Geduld.«
Sharis erste Reaktion war Entsetzen. Starr vor Schreck blieb er stehen. Er fürchtete, von einem Amphanen ertappt worden zu sein und wagte es nicht, sich umzudrehen. Dann wurde ihm bewusst, dass er noch nie eine solche Stimme gehört hatte, eine Stimme, die gleichzeitig unendlich ernst und unendlich sanft klang. Da riskierte er einen Blick über die Schulter.
Der Mann saß oben auf dem Nachbarstein, mit nackten gekreuzten Beinen. Gekleidet war er in ein weites graues Stück Tuch. Langes rabenschwarzes Haar umrahmte sein braunes Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Seine dunklen Augen strahlten Humor und Güte aus. Seine langen geschmeidigen Finger spielten zerstreut mit seinem struppigen Bart.
Als er das verblüffte Gesicht Sharis sah, lachte er fröhlich und fügte hinzu: »Die Perfektion gibt sich nicht mit
dem Ungefähren zufrieden, Kind. Hast du jemals eine Blume ohne Farbe, ohne Duft oder ohne einen Stengel, sie zu tragen, gesehen? Wie heißt du?«
Sharis Herz klopfte noch immer wie verrückt, auch wenn er sich etwas sicherer fühlte.
»Shari … Shari Rampouline … Ich bin der Sohn von Naïona Rampouline. Mein Vater ist schon lange tot«, antwortete er, ohne Atem zu holen.
»Shari! Was für ein schöner Name!«, sagte der Mann. »Weißt du, was er bedeutet? Nein? Aus der alten Sprache Terra Maters übersetzt ist der Sinn ›Stern, der in der Ferne leuchtet‹.«
Plötzlich kam Shari ein Gedanke: Dieser Unbekannte konnte nur der Narr des Hymlyas-Gebirges sein, dieser mysteriöse Mann, vor dem die Amphane alle Kinder gewarnt hatten. Sie behaupteten, er sei ein Dämon, der Sohn der Nuklear-Hexe und der Kernfusion, eine Höllengeburt, ein Reptil, dessen Worte den Geist verwirrten.
Als hätte er die Gedanken des Knaben erraten, erklärte der Mann: »Jetzt ist es an mir, mich vorzustellen. Ich bin derjenige, den die Priester des Volkes verächtlich ›den Narren der Berge‹ nennen, oder ›den Dämon des zerstörerischen Wortes‹. Ich bin derjenige, der den Wahnsinn in die Herzen der Kinder und Einfältigen trägt. Ich bin derjenige, der Angst macht … Hast du Angst vor mir, Shari Rampouline?«
Der Knabe sah dem Narren der Berge kühn ins Gesicht. »Ich habe keine Angst vor dir!«, verkündete er mit fester Stimme.
Shari fiel auf, dass die große Hitze seinem seltsamen Gesprächspartner nichts ausmachte. Er schwitzte nicht. Und wenn er lächelte, entblößte er strahlend weiße Zähne,
die aussahen wie die fluoreszierenden Salzsteine, die die Bewohner Exods noch heute aus den alten Bergstollen gewannen.
»Sehr gut, Shari Rampouline, Sohn der Naïona … Da du keine Angst vor mir hast, werde ich vielleicht etwas für dich tun können. Ich könnte dich zum Beispiel lehren, zu dem Stein zu sprechen …«
Der Knabe verlor seine aus Vorsicht geborene Scheu. Hoffnungsvoll rief er: »Du weißt, wie man ihn zum Fliegen bringen kann? Wie man ihm befehlen kann?«
»Ich weiß, wie man mit ihm spricht und gleichzeitig seinen Willen respektiert«, korrigierte der Narr der Berge. »Ich will dir ein Geheimnis verraten: Nur wenn du lernst, dem Stein zu dienen, anstatt ihm zu befehlen, wirst du das Gewünschte von ihm bekommen …«
Diese seltsamen Worte verwirrten Shari. Sein rundes Gesicht verdüsterte sich. Und das sollte das Geheimnis sein?
»Ihm dienen? Wie kann man denn einem Stein dienen?«
Anstatt zu antworten, stellte der Narr eine Gegenfrage. »Wünschst du dir von ganzem Herzen, auf dem Stein fliegen zu können?«
»O ja!«, rief Shari mit der Inbrunst seiner ganzen Seele.
»Dann setz dich wieder vor ihn hin! Das ist bequemer als zu knien!«, gebot ihm der Narr.
Shari war der Faszination, die von diesem Mann ausging, erlegen. Er gehorchte ohne Widerspruch und setzte sich in den Schatten des großen Felsens, ganz nah an die raue gewölbte Flanke, die dem Bauch eines vertrauten Tiers glich.
»Der Stein wird sich nicht bewegen, solange du ihm Befehle erteilst«, erklärte der Narr. Noch immer saß er mit gekreuzten Beinen auf dem Nachbarstein. »Das ist ein
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