Krieger der Stille
schlanken, reich verzierten Turmspitzen, die in den Himmel emporragten. Die majestätischen Türme des Runden Hauses wirkten besonders imposant. Doch ansonsten fand er das Stadtbild monoton und fantasielos. Die Häuser glichen sich alle mehr oder weniger, mit ihren graublauen Runddächern über einem grauen Kubus. Ihre Höhe überschritt nie fünf Etagen, so als wären sie alle nach demselben Plan errichtet worden. Allein die reich bemalten oder verzierten Klappläden und die schmiedeeisernen Balkone verrieten eine gewisse Originalität. Die Hauptstraßen waren breit und schnurgerade, sie strebten achteckigen Plätzen zu. Dazwischen gab es schmale, gewundene Gassen mit kleinen Geschäften, vor denen Fußgänger flanierten. Tixu fiel ebenfalls auf, dass sich die verschiedenen Sparten des Handels jeweils in bestimmten Vierteln angesiedelt hatten.
Jetzt überflog der Ovalibus eine Ansammlung riesiger rechteckiger Behälter, die mit färbenden Leuchtwellen gefüllt waren, in denen Männer und Frauen arbeiteten. Sie standen bis zu den Knien in elektrisch geladenen Emulsionen und tauchten Stoffbahnen hinein, die sofort lebhafte Farben annahmen. Diese Arbeit konnte von den Robotomaten nicht erledigt werden, denn es gehörte künstlerisches Einfühlungsvermögen dazu, wollte man schöne Muster erzeugen.
Das Pendelfluggerät hielt öfters, und andere Passagiere
stiegen zu. Bei jedem Halt warf Tixu den beiden Frauen einen fragenden Blick zu, doch sie schüttelten immer den Kopf.
Schließlich flüsterte eine ihm zu: »Bei der nächsten Station müssen Sie aussteigen. Und achten Sie auf das violette Dreieck …«
Erst jetzt schienen sie sich zu entspannen. Sie lächelten und sahen aus, als wäre eine schwere Bürde von ihnen genommen worden.
Tixu stieg also beim nächsten Halt aus. Dort bekam er einen Schock: Unter den verdrießlich blickenden Fahrgästen entdeckte er die Gestalt eines Mannes im schwarzen Kapuzenmantel. Ein Scaythe vom Planeten Hyponeros!
Sein Herz begann heftig zu schlagen, und sein Magen krampfte sich zusammen. Sofort musste er an den widerlich glitschigen, eiskalten Tentakel denken, der in seinen Kopf eingedrungen war. Doch im selben Moment wurden die Vibrationen des Antras größer und errichteten eine mentale Sperre um sein Denken. Seine Panik ebbte sofort ab, und er konnte mühelos seine innere Ruhe bewahren. Und noch etwas geschah. Es war, als würde das Antra ihn nicht nur beschützen, sondern ihm auch die Augen öffnen. Plötzlich sah er die anderen Fahrgäste wie sie wirklich waren und nicht als die, die sie vorgaben zu sein. Und er erkannte, dass sie an diesem Zwiespalt zu zerbrechen drohten. Sie strebten ein Ideal an, das sie niemals erreichen würden, doch auf der anderen Seite fürchteten sie sich davor, sich selbst in die Augen zu schauen. Also waren sie zwangsläufig zwischen zwei Welten gefangen, zwischen der geistigen und der materiellen Welt, ohne jemals die eine oder die andere ganz erforschen zu können. Sie hatten vergessen, dass sie menschliche Wesen
waren, die sich sowohl in geistige Höhen aufschwingen, als sich auch mit Genuss ihren sinnlichen Begierden hingeben konnten.
Die Anwesenheit des Kapuzenmanns in Schwarz erfüllte sie mit Entsetzen, denn sie hatten bereits Demonstrationen der zerstörerischen mentalen Kräfte der Scaythen erlebt, denen ihre Gehirne schutzlos ausgeliefert waren. In ihren Köpfen herrschte jetzt Angst und Verwirrung.
Tixu merkte, dass der Scaythe ungeniert die Gedanken der Umstehenden ausspionierte. Doch als er den Geist des Orangers vergewaltigen wollte, stieß der Inquisitor auf die von dem Antra errichteten Barriere. Der Scaythe gab nicht auf, er wollte um jeden Preis in diesem verschlossenen menschlichen Buch lesen. Und Tixu spürte zunächst die Überraschung und dann die Verärgerung seines unverschämten Inquisitors.
Der Ovalibus überflog den Jatchaï-Wortling-Platz, eine riesige achteckige, mit leuchtenden Mosaiken gepflasterte Fläche. Die Mosaike stellten die Planeten der Konföderation von Naflin dar. In der Mitte des Platzes thronte, von einer purpurfarbenen und goldenen, mit weißen Blüten gesprenkelten Hecke umgeben, die Statue Jatchaï Wortlings. Er war der Gründer der Dynastie der Wort-Mahort, und Erbauer des Runden Hauses mit seinen neun Türmen, die ihre langen Schatten jetzt über die benachbarten Gebäude warfen. Das antike, schon vor dreizehn Jahrhunderten dort errichtete Standbild war ein Wunder, weil es trotz der vielen
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