Krieger der Stille
Reparaturen noch immer sein Gleichgewicht bewahrte, obwohl es, wie Tixu fand, so aussah, als würde es gleich in sich zusammenstürzen.
Nicht weit von der Statue entfernt entdeckte Tixu etwas Ungewöhnliches: ein transparentes Rad, in dem sich ein
nackter Gekreuzigter wand. Die vielen Passanten auf dem Platz schritten gesenkten Kopfes vorüber und vermieden es geflissentlich, einen Blick auf das Rad zu werfen.
Tixu war froh, als er aus dem Ovalibus steigen und damit endlich den wiederholten Attacken des Scaythen entgehen konnte, der sich zunehmend über den Widerstand seines Opfers ärgerte.
Nachdem er die Aufzugsröhre verlassen hatte, ging er zum Jatchaï-Wortling-Platz, ein sehr belebtes Viertel. Er hatte noch immer kalte Füße, denn sein leichtes Schuhwerk bot kaum Schutz gegen die Kälte. Weit brauchte er nicht zu gehen, am Rand des Platzes hatten ambulante Händler ihre Stände aufgebaut. Also kaufte er bei einem gut gelaunten jungen Mann ein Paar Stiefel mit langem Schaft, die der Händler als unverwüstlich anpries und als derart bequem, dass manche Kunden sogar vergäßen, sie zum Schlafen auszuziehen.
Dann ging Tixu, neugierig geworden, in Richtung des transparenten Rades. Je mehr er sich dem Rad näherte, umso mehr Menschen mit einem erschüttertem Gesichtsausdruck kamen ihm entgegen, einige Frauen weinten und die Männer wirkten verstört …
Eine Frau war dort an den Pranger gestellt, und ihr schmerzverzerrtes Gesicht und ihr geschundener Körper verrieten die unendlichen Qualen, die sie hatte erleiden müssen und noch immer erlitt. Trotz dieser sie entstellenden Torturen konnte man erahnen, dass sie einmal eine große Schönheit gewesen sein musste. Auf dem Sockel unter dem Rad verkündete ein holografisches laufendes Schriftband in goldenen Lettern:
Die Kirche des Kreuzes bestraft alle mit dem langsamen Feuertod, die gegen das Einzige Göttliche Gesetz oder die
Befehle der heiligen Missionare verstoßen … Dame Armina Wortling, Gattin des verstorbenen Seigneurs Abasky Wortling, hat der Fleischeslust nachgegeben und gesündigt und somit wider uraltes planetarisches Brauchtum verstoßen, laut Entscheids des Kardinals Rahouin de Brussel, oberster Stellvertreter Seiner Heiligkeit, des Muffis Barrofill XXIV. auf dem Planeten Marquisat.
Die Augen der Gemarterten sahen Tixu an. Er glaubte, ein Flehen in ihnen zu erkennen, ihr Martyrium zu beenden. Doch sie waren tränenleer. Die Qualen der armen Frau waren so entsetzlich, dass sie nicht mehr weinen konnte und der Schmerz sie in einen Abgrund zog, wo der Verstand sie zu verlassen drohte.
Tixu wandte sich angewidert von dem unwürdigen Spektakel ab und ballte zornig die Fäuste. Er machte sich wieder auf die Suche nach dem Goldschmied.
In der Straße der heiligen Goldschmiedekunst reihten sich auf beiden Seiten Läden, Boutiquen und Werkstätten mit kunstvollen barocken Aushängeschildern aneinander. Über den Häusern sah der Oranger in Hologrammschrift eine Bekanntmachung der interplanetarischen Polizei, der Interlice. Die Ordnungshüter informierten die Goldschmiede, dass alle Tempel der marquisatinischen Theogonie zerstört würden und die Goldschmiede somit ihre Arbeit an ihnen einstellen müssten. Laut ethischem Verhaltenskodex ihrer Gilde dürften sie jetzt nur noch Arbeiten ausführen, die zur Ausschmückung der Tempel erlaubter Kulte gelte und das nur auf ausdrückliche Bestellung von deren Anhängern oder Priestern.
Die Männer hatten sich in kleinen Gruppen vor ihren Geschäften versammelt und diskutierten diese neue Verordnung. Ihre schönsten Stücke hatten sie in ihren Schaufenstern
ausgestellt: mit Edelsteinen verzierte Statuetten, Gemmen, heilige Schmuckstücke, Kandelaber mit drei, fünf oder sieben Armen, elegante Kerzenständer aus rosafarbenem Optalium, muschelförmige Weihrauchgefäße …
Tixu kamen im Vorübergehen Gesprächsfetzen zu Ohren. Die Juweliere fragten sich, ob diese neue Kirche des Kreuzes ihnen genügend Aufträge gebe und ob sie nicht besser sofort aus ihrer Gilde austreten sollten, um nicht länger an den ethischen Verhaltenskodex gebunden zu sein.
Die Straße der heiligen Goldschmiedekunst war eine der ältesten der Stadt. Es hieß sogar, sie habe bereits vor dem naflinischen Zeitalter existiert. Zwischen ihrem holprigen Kopfsteinpflaster spross Unkraut. Die aneinandergebauten Häuser waren so alt, dass sie sich gegenseitig zu stützen schienen. Unter den spitz zulaufenden Giebeldächern standen in
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